Familiengeschichte ohne Klischees

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rebeccawinter Avatar

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Der mit einem Ausschnitt des berühmten Fresco aus dem Gartensaal der Villa Livia bedruckte Buchumschlag und der poetische Titel „Malvenflug“ nimmt sofort gefangen. Das gebundene Buch aus dem Otto Müller Verlag nimmt im Einband die gelbe Schriftfarbe des Titels auf dem Schutzumschlag auf, haptisch angenehmes Papier und lesefreundliche Schrift sowie eine gute Buchinnengestaltung runden das schön gemachte Buch ab.

Die Geschichte einer Familie über vier Generationen. Vier Geschwister werden durch Verschuldung und Scheidung der Eltern getrennt. Die beiden jüngsten leben in Österreich und Tschechien bei den Großeltern, die älteste Schwester ist in der Steiermark zunächst in einem Kloster, dass sie nach dem Ende des zweiten Weltkrieges verlässt und in Italien einen Neuanfang macht. Die Mutter arbeitet zur Schuldenbegleichung in der Schweiz, in Davos. Der Vater bleibt in der Heimatstadt Graz. Eine neue Beziehung soll seine finanzielle Situation verbessern.

In einem ersten Teil wird auf die Familienmitglieder in der Zeit zwischen 1940 - 1945 in kurzen Kapiteln jeweils ein Spot gelegt, in der Ihre Situation, Wünsche und Hoffnungen geschildert werden. Der Schreibstil ist hier eher knapp, teilweise sachlich und aus Distanz. Die Persönlichkeiten werden eher angedeutet, vieles Leid ist jedoch zwischen den Zeilen zu erahnen.

Im zweiten Teil erzählt die älteste Tochter. Ausgehend vom Jahr 1989 erinnert sie sich an die Vergangenheit, reflektiert das Geschehene. Ihre andere Sichtweise wird durch einen bildhaften, zuweilen poetischen Schreibstil unterstützt, der mehr Emotionalität zulässt.

Die Familie ist groß und so ist es von Vorteil, dass ein Personenverzeichnis vorangestellt ist.

Im ersten Teil ist mir die Familie eher fremd geblieben. Keine Identifikationsfigur und die Personen blieben eher blass. Im zweiten Teil änderte sich das völlig. Mehr Verständnis zur Familiensituation und den -mitgliedern. Es gibt keine schwarz-/weißen Charaktere, sondern die Vielschichtigkeit der Persönlichkeiten wird im zweiten Teil sehr gut deutlich.
Nachdem ich das Buch auf den ersten 50 Seiten etwas spröde empfand, entwickelte es sich zum page-turner. Sehr interessant fand ich den Blick auf Brünn und die angedeuteten entsetzlichen Vorfälle 1945. Man weiß doch noch lange nicht alles über diese Schreckenszeit.