Bernardine Evaristo - Manifesto. Warum ich niemals aufgebe.

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Mit dem Booker Prize für ihren Roman „Girl, Woman, Other“ hat sie sich auf die ganz große Bühne der Autorinnen und Autoren geschrieben. Dies war keineswegs abzusehen, denn es sind gleich zwei Dinge, die eigentlich dagegen sprachen, dass sie im Literaturbetrieb Erfolg haben würde: Bernardine Evaristo ist eine Frau – noch dazu bekennend homosexuell – und zudem Schwarze. Ihr Weg war steinig und lang und in „Manifesto“ zeichnet sie nach, wie sie immer wieder vor neuen Hürden stand, sei es Rasse, sei es Klasse, sei es Geschlecht, sei es sexuelle Orientierung oder irgendwann auch das Alter.

Im Gegensatz zu etwa Michaela Coels „Misfits“, einer lauten Abrechnung mit den Ungerechtigkeiten der britischen Gesellschaft, ist Evaristos „Manifesto“ eine durchaus auch emotionale, im Wesentlichen jedoch sachliche Analyse dessen, was sie in ihrem Leben erlebt hat. Man merkt, dass man es mit einer Professorin und reflektierten Person zu tun hat, die – trotz des Unmuts – einordnet und nachvollziehbar macht, was ihr widerfahren ist. Sicherlich ein singulärer und extrem erfolgreicher Lebensweg, der jedoch an unzähligen Stellen auch eine andere Richtung hätte nehmen können.

In sieben Kapiteln zeichnet die Autorin nach, wie aus dem Mädchen aus einer kinderreichen Familie einer weißen Mittelschichten-Mutter und eines nigerianischen Einwanderers eine der wichtigsten Stimmen Englands wurde. Aufgrund ihrer Herkunft passt sie in kein Schema, ihre gute Schulbildung widerspricht dem, was die Menschen von einer jungen Frau mit dunkler Haut erwarten, weshalb es von ihr deutlich mehr Anstrengung und Durchhaltevermögen erfordert, als von anderen, um ihre Ziele zu erreichen. Von Familie über Wohnen und Partnerschaften öffnet sie den Blick für die vielen verschiedenen Formen von Diskriminierung und feinen Abstufungen in der britischen Gesellschaft.

Beruflich fand sie – interessanterweise ähnlich wie die bereits erwähnte und von ihr ebenfalls angeführte Michaela Coel – ihren Ausgangspunkt im Jugendtheater, wo sie erkennen musste, dass es für sie schlichtweg gar keine Rollen gab. Es war die Lyrik, in der sie schriftstellerisch zunächst ihre Ausdrucksform sah, erst später hat sie sich auch an Prosa getraut. Die letzten beiden Kapitel thematisieren die Schwierigkeit, dass natürlich ihre Erfahrungen einen Einfluss auf das haben, was sie schreibt, sie jedoch nicht auf ein Thema reduziert werden kann und vor allem auch nicht als Sprecherin für diverse Gruppen festgeschrieben sein möchte.

Für mich war „Girl, Woman, Other“ noch vor dem ganz großen Erfolg eines der literarischen Highlights 2019, weil es auf erzählerische Weise in vielerlei Hinsicht erhellend war und die intersektionale Diskriminierung literarisch herausarbeitet wie kaum ein anderer Roman zuvor. Ähnlich bereichernd jetzt auch ihr „Manifesto“, das ich uneingeschränkt jedem empfehlen kann, der sich für die Thematik interessiert.