Memoiren einer Stehauf-Frau

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„In jeder und jedem von uns steckt ein Manifest, dass im Lauf unseres Lebens zu Tage tritt, sich durch unsere Erfahrung verändert & neu ordnet. Dies ist meines.“ (S.245)

Frau Evaristo, übrigens fast mein Jahrgang, legt hier ein „Pageturner-Memoir“ vor, das seinesgleichen sucht.
Über fünf Kapitel begleiten wir sie temporeich und gefesselt durch ihr sehr aktionsreiches Leben, das sie als „Mischlingskind“ einer britisch-nigerianischen Ehe im sehr rassistischen 1959 beginnt, und das seinen Höhepunkt in der Belohnung eines langen künstlerischen Wirkens mit dem Brucker-Preis 2019 findet, als erste schwarze Frau und mit international hoher Resonanz.

Ich habe ihr „Mädchen, Frau etc.“ vor einiger Zeit gelesen und darin, genau, wie jetzt hier, vor allem geschätzt, dass sie ganz ohne „Opferstatus“ oder erhobenen Zeigefinger erzählen kann. Beide Bücher haben eine positive, motivierende Ausstrahlung, der man sich kaum entziehen kann.

In ihrer Autobiografie kommt dazu, dass sie es nicht scheut auch Schwächen zu offenbaren und dadurch eine ungeheure Authenzität schafft. Außerdem mochte ich, wie sie ein Bild der, schon besonderen, späten Siebziger-& Achtziger-Jahre schafft, das ich auch noch ganz ähnlich im Gedächtnis habe.
Es war die Zeit, in der sie sich in jeder Beziehung, künstlerisch wie persönlich, sexuell wie im übrigen Lebensbezug, ausprobiert hat und dies auch sehr freimütig schildert.

Im letzten Drittel des Buches erfahren wir dann, nach der chronologischen Lebensdarstellung, warum es den Untertitel „Warum ich niemals aufgebe“ auf dem Cover gibt. Hier geht das Buch über in eine - für deutsche Leser zunächst dankenswerte - Beschreibung ihrer weiteren Bücher, die ja noch nicht übersetzt sind, in diverse Überlegungen und Ratschläge zum Thema „Schreiben“ allgemein, aber auch der Persönlichkeitsentwicklung und des positiven Denkens - eine Theorie, die die Autorin verinnerlicht und für ihr Leben als sehr wichtig empfunden hat.

Das ist zunächst nicht verwerflich und auch ganz interessant zu lesen, führte bei mir aber im Nachgang dazu, dass ich mich fragen musste, ob ich diesen Ratgeberanteil wirklich gebraucht hätte.
Für mich entsteht hier ein unguter Bruch, das abgedroschene „ich-muss-nur-positiv-denken-dann-wird-alles-gut“ passt m.E. hier nur bedingt her. (Es wäre eher in einem Ratgeber für aufstrebende Schreibende oder ihre Student:innen angesagt.) Es macht mich außerdem darauf aufmerksam, dass uns Frau Evaristo eben doch nicht alles erzählt. Denn im Nachhinein betrachtet finde ich ihre Erklärungen, wie es ihr gelingen konnte, aus einem unsicheren, vom Vater auch mal geschlagenen Kind zu einer versöhnten Tochter und selbstbewussten jungen Theatermacherin zu mutieren, doch etwas dürftig. Verbunden mit dem Postulat des „positiv Denkens“ bekommt das für mich ein bisschen den Beigeschmack des „Jede:r kann alles schaffen, wenn er nur hartnäckig genug ist“. Das glaube ich persönlich nicht - zumindest sehe ich da die achtziger Jahre auch als eine besondere Zeit, in der Experimente, z.B. in freien Theaterprojekten, weitaus problemloser machbar waren als heute, zum Beispiel.

Fazit: Manifesto ist mehr als eine Autobiografie, es ist ein flott geschriebenes, gut und unterhaltsam zu lesendes Buch, das interessante Einblicke in das Leben und künstlerische Wirken der Autorin gibt.
Es vermittelt darüber hinaus ein lebendiges Bild der Achtziger Jahre und was diese Zeit für das Leben dieser Generation bewirken konnte. Mir persönlich ist es am Ende ein bisschen zu sehr Ratgeber statt Memoir, und ich halte es für wichtig diesen Teil, wie auch „Psychologie“ und „Kindheit“, kritisch zu lesen. Auf viele Leser:innen kann die Ausstrahlung des Buches trotzdem motivierend und insgesamt positiv sein.