Herzzerreißend und doch leichtfüßig - ein berührendes Buch über das Leben mit Demenz

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„Marigolds Töchter“ ist ein herzzerreißendes Buch über Demenz, Familie und Liebe. Die Geschichte spielt in einer englischen Kleinstadt, wo die 66-jährige Marigold mit ihrem hingebungsvollen Mann Dennis, ihren beiden erwachsenen Töchtern und ihrer eigenen hochbetagten Mutter lebt. Marigold betreibt einen kleinen Dorfladen und kümmert sich um die Familienangehörigen, die nach und nach ins elterliche Haus zurückgekehrt sind: Da ist die egozentrische Instagram-Influencerin Suze, die sich durchfüttern lässt, die künstlerisch begabte Daisy, die mit einem gebrochenen Herzen aus ihrer Wahlheimat Italien zurückkehrt, und die stets übellaunige Nan, die nach eigenen Angaben ständig mit einem Fuß im Grab steht.

Eigentlich die Zutaten für eine liebenswert schräge Familienkomödie – aber bereits auf den ersten Seiten wird deutlich, dass etwas ganz anderes im Vordergrund steht: Marigold wird vergesslich. Das beginnt mit leichten Andeutungen, und die Geschichte nimmt uns aus ihrer Perspektive mit, in der sie allmählich versteht, dass sie vergisst und dass das keine normale Alterserscheinung ist. Die liebenswert schrulligen Dorfbewohner tun das als Tüdeligkeit ab, und auch ihre eigene Familie beginnt nur allmählich zu erahnen, wie schlecht es um Marigold bestellt ist: Suze ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, Dennis will es nicht wahrhaben, Nan glaubt, sie solle sich nicht so anstellen … einzig Daisy, die stille Heldin des Romans, wagt es, sich mit der Lage auseinanderzusetzen und die anderen damit zu konfrontieren. Dabei hat sie selbst genügend zu kämpfen, hat sie doch ihre Beziehung und ein ganzes Leben in Italien zurückgelassen und muss jetzt von null anfangen.

Der Erzählton ist leicht und humorvoll, was das schwierige Thema etwas zugänglicher macht. Einige Nebenhandlungen lockern die Tragik der Situation auf, bekommen jedoch manchmal etwas zu viel Raum, wie ich finde. Der Aufbau in der ersten Hälfte des Buches illustriert wunderbar und sanft die Realisation und das Fortschreiten der Krankheit aus der Perspektive der Betroffenen. Die Angst und die Unsicherheit erleben wir so hautnah mit, und es wird klar, was das für Betroffene bedeutet, wenn man nach und nach merkt, wie die Erinnerungen schwinden. In der zweiten Hälfte sackt der gefühlvoll aufgebaute Erzählbogen jedoch etwas ab: Größere, unvermittelte Zeitsprünge und einige sehr hastig abgeschlossene Erzählstränge trüben den Leseeindruck.

Trotzdem ist „Marigolds Töchter“ ein eindringliches, empfehlenswertes Buch, das das Thema Demenz auf eher leichte, zugängliche Art verhandelt und dabei nie den Humor verliert. Die Hoffnung und eine positive Lebenseinstellung stehen im Vordergrund und bieten Anker und Bewältigungsstrategien für das Schreckliche an, sodass man als Leserin nicht droht im Sumpf der Tragik zu versinken. Marigolds Familie und das ganze Dorf vermitteln ein positives Lebensgefühl, auch mit Demenz. Um es mit den Worten der Protagonisten zu sagen: „Was ist falsch am Jetzt?“