Der gestohlene Kessel

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emma winter Avatar

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"Wie bin ich hier eigentlich hineingeraten?" (S. 316) Anhand von zwei Frauenschicksalen, die Jahrhunderte auseinanderliegen, führt uns die Autorin vor Augen, was sich seit dem 16. Jahrhundert in Bezug auf Gleichberechtigung bis in unsere Zeit verändert hat - oder nicht.

Abelke Bleken, einst eine selbstbewusste, reiche Bäuerin mit eigenem Hof, endet als Hexe "überführt" auf dem Scheiterhaufen. Gemeinsam mit Britta, die gerade erst mit ihrer Familie in das Hamburger Marschland gezogen ist, erfahren wir immer mehr über das Schicksal von Abelke. Britta hadert mit ihrer verpassten Unikarriere, dem ständig abwesenden Ehemann, dem modernen Haus (neben all den alten Bauernhäusern), den Kindern und diesem unwirtlichen Landstrich, den sie sich völlig anders vorgestellt hat. Je mehr Britta über Abelkes Leben herausfindet, desto mehr scheint sich auch ihr eigenes zu verändern.

Jarka Kubsova hat ein Buch geschrieben, das mich von Beginn an gefangen genommen hat. Die Schilderung des bäuerlichen Lebens im 16. Jahrhundert, die Lebensgeschichte von Abelke Bleken ist ihr glänzend gelungen und lässt diese entbehrungsreiche Zeit lebendig werden. Der schleichende Prozess, den die Bäuerin von der Hofbesitzerin zur Hexe durchmacht, ist absolut nachvollziehbar dargestellt. Gleichzeitig ist die Rahmengeschichte um Britta sehr schön konstruiert. Auch wenn diese Figur einige Stereotype enthält, habe ich mich in so manchem Gedanken von Britta wiedergefunden. Die Verbindungen, die die Autorin zwischen diesen Frauen zieht, die Parallelen, die aufscheinen, machen mehr als nachdenklich. In sich abwechselnden Kapiteln aus der frühen Neuzeit und der Gegenwart entwicklen sich diese zwei Leben.

Abelke Bleken hat es wirklich gegeben und die bisherigen Forschungsergebnisse zu ihrer Person haben Kubsova zu ihrer Figur Abelke inspiriert. Vieles wurde nicht überliefert und Leerstellen mussten durch die Fantasie gefüllt werden, aber durch die erhaltenen Gerichtsakten war ein stabiler Untergrund vorhanden. Das überaus interessante Nachwort macht noch einmal deutlich - auch schon im Roman selbst thematisiert - , wie viele Frauen, die etwas Außergewöhnliches geleistet haben, in Vergessenheit geraten sind. Wie wichtig es ist, über sie zu forschen und ihnen ein angemessenes Andenken zu Teil werden zu lassen. Nicht bewusst waren mir die Zusammenhänge zwischen dem aufkommenden Kapitalismus und der Herabwürdigung der Frauen. Ein sehr spannendes feministisches Thema.

Besonders gefreut habe ich mich, dass ich den Lorscher Bienensegen nach meinem Studium nochmal gedruckt gesehen habe. Insgesamt waren die historischen und bauhistorischen Elemente sehr gut recherchiert und im Text eingebaut. Mir haben dieses sehr einfühlsam geschriebene Buch und das wunderbar stimmige Cover wirklich gut gefallen. Es wird mich noch einige Zeit beschäftigen. - Was es mit dem gestohlenen Kessel auf sich hat? Lest es einfach nach.