Ein Roman, der einem alles abverlangt

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mrsamy Avatar

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Das Hamburger Marschland ist eine Landschaft wie keine andere. Rau, voller Stürme, unbarmherzig. Die Menschen wurden von dieser Landschaft und Natur geformt. 1580 lebte gleich hinter dem Deich Abelke Bleken allein auf einem Hof von 9 ha Fläche. Sie war eine unabhängige Frau, die von den Menschen misstrauisch beäugt wurde. Denn eine Frau braucht einen Mann - allein kann sie niemals zurechtkommen. Doch Abelke will sich nicht beugen vor dem, was die Gesellschaft für sie für richtig erachtet. Doch als der Deich bei der großen Allerheiligen Flut bricht und sie gemeinsam mit ihrem Nachbarn über den Winter mit einer Frist von nur vier Monaten den Deich wieder in Stand setzen soll, gerät alles in Gefahr für was sie ihr Leben lang gekämpft hat.

Britta Stoever lebt im Hier und Jetzt. Gemeinsam mit ihrer Familie ist sie in Hamburg zu Hause. Doch die Familie will etwas eigenes. Was in Hamburg unbezahlbar ist, gibt es im Speckgürtel der Stadt noch – ein eigenes Haus. So zieht Britta mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in das raue Marschland. Doch Britta hat Schwierigkeiten anzukommen. Für ihre Kinder gab sie ihren geliebten Beruf als Geographin an der Universität auf. Nun hat sie einen 25-Stunden Job im Amt, gut bezahlt, furchtbar langweilig, 100% Home-Office möglich. Britta hadert mit ihrem Leben und der Einsamkeit auf dem Land. Sie beginnt lange Spaziergänge zu unternehmen und stößt auf das Leben von Abelke Bleken. Zunehmend ist Britta fasziniert von der rauen Landschaft und vom Schicksal der Bleken. Immer tiefer taucht sie in das Leben der Frau ein, die vor so vielen hundert Jahren lebte und merkt, wie sehr ähnlich sich doch die Schicksale der Frauen von damals und heute sind.

„Marschlande“ von Jarka Kubsova ist für mich ein einzigartiger Roman. Es ist ein Roman, den ich kaum aus der Hand legen kann, denn ich aber doch abreche. Warum mag man sich da fragen? Warum, wenn doch der Schreibstil der Autorin hervorragend ist, das Schicksal der Abelke Bleken und die Lebensumstände im 16. Jahrhundert genaustens recherchiert und auch die Charakterzeichnungen von Britta, die im heutigen Hamburger Speckgürtel zu Hause ist, herausragend ist. Allein ich bin diesem Roman nicht gewachsen. Er fasst mich zu sehr an, nimmt mich zu sehr mit. Es geht um Frauen, es geht um ihr Leben, ihr Schicksal. Es geht um die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen für Haushalt und Kinder zuständig sind, wie sehr Männer gestern und heute (über) unser Leben bestimmen, weil wir uns beugen. Weil wir als Frau geboren in unsere zugeteilten Rollen fallen und es so schwer ist, aus dieser Rolle herauszugehen, gegen die inneren und äußeren Widerstände. Weil man sich unweigerlich fragen muss, was macht mich eigentlich glücklich, welchen Weg möchte ich gehen? Bin ich glücklich da, wo ich jetzt stehe? Bin ich es nicht? Wenn ich es nicht bin, warum eigentlich nicht? Hat das mit mir als Frau zu tun? Alles erscheint mir heute im Unklaren zu liegen.

„Marschlande“ ist ein so wichtiger Roman. Er sollte von Menschen aller Geschlechter gelesen werden, er ist beeindruckende Literatur. Aber man braucht Kraft für diesen Roman, doch egal wie weit man liest … ein starker Nachhall wird bleiben. Es ist eine Lektüre, die man so leicht nicht abschütteln kann.