Frauenfeindlichkeit forever?

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aischa Avatar

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Nahezu 500 Jahre trennen die beiden Protagonistinnen in Jarka Kubsovas neuestem Roman: Da ist zum einen die historisch verbriefte Abelke Bleken, eine Hufenbäuerin in den Marschlanden, die 1583 aufgrund des Vorwurfs der Hexerei auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Und im Gegenwartsstrang begleiten wir die (fitkive) Geografin Britta Stoeve, die mit Ehemann und zwei Kindern in ein Haus im Hamburger Speckgürtel gezogen ist.

Kubsova schreibt sehr atmosphärisch, die Geschichte ist voller wunderbarer Landschafts- und Tierbeschreibungen, oft herrscht eine düstere, aufwühlende, ja bedrohliche Stimmung, aber es gibt auch hoffnungsvolle Abschnitte. Ich mochte den klaren, direkten Stil, und die (nicht übertriebene) Verwendung von Plattdeutsch bei manchen Dorfbewohnern sorgt für sympathisches Lokalkolorit. Besonders haben mir die Übergänge zwischen den Kapiteln gefallen: Diese wechseln zwischen den beiden Zeitsträngen, jedoch verknüpft die Autorin jedes Ende eines Kapitels so geschickt an den Beginn des folgenden, dass eine Kontinuität erzeugt wird, die man mit mehr Abstand gar nicht vermuten würde. Mich hat dies an filmische Überblendungen erinnert.

Überhaupt ist das in meinen Augen eine der großen Stärken des Romans, und zugleich für mich die größte Überraschung: Nämlich dass einerseits bereits im Mittelalter viele starke Frauen eine von Männern unabhängige Existenz führen konnten und wie weit wir andererseits noch heute von echter Gleichberechtigung der Geschlechter entfernt sind. (Und wie wenig wir uns dies oft eingestehen wollen.) Die Romanfigur Britta führt nur oberflächlich betrachtet ein emanzipiertes Leben. In Wirklichkeit hat sie viel zu oft ihre eigenen Wünsche denen der Familie, insbesondere denen ihres Ehemannes, untergeordnet. Ihre akademische Karriere ist durch Erziehungsarbeit in weite Ferne gerückt. Dafür trägt sie die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf des Familienalltags praktisch alleine, der Mental Load ist nicht partnerschaftlich aufgeteilt. Und auch bei der nachkommenden Generation liegt noch Vieles im Argen, wie unter anderem am Cyber-Mobbing gegen Brittas Tochter gezeigt wird.

Ein sehr lesenswertes Buch, das zu meinen persönlichen literarischen Highlights in diesem Jahr zählt!