Zwei Frauen im Kampf für mehr Selbstbestimmung & Gleichberechtigung im 16.Jh. & heute

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lia48 Avatar

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„Seit geraumer Zeit hatte sie das Gefühl, als würde das Wasser ganz hoch in ihr stehen, aber heraus konnte es nicht, auch wenn sie wollte. Als wäre sie innerlich gefroren, und langsam nahm das Eisige ganz von ihr Besitz.“

INHALT:
Britta ist mit ihrem Mann Philipp und den beiden Kindern vor mehr als drei Monaten nach Ochsenwerder gezogen. Hier in den Marschlanden, nicht weit von Hamburgs Zentrum entfernt, haben sie sich nach langem Suchen ein Haus gekauft. Wie Fremdkörper ragen die Neubauten aus der Landschaft, die immer noch zahlreiche alte Bauernhäuser und sanierte Katen ziert.
Jetzt im Herbst sind die vielen Felder bis auf ein paar Kraniche leer, Dunst und Regen bestimmen das Bild.
Als gelernte Geografin hat Britta ihren Beruf für die Familie vor Jahren aufgegeben und arbeitet mittlerweile Teilzeit im Homeoffice.
Bisher fühlt sie sich in ihrem neuen Haus gar nicht heimisch und auch die Kinder müssen sich erst noch an das Umfeld gewöhnen.
Britta macht sich auf den Weg und erkundet die Umgebung. Die Deiche und Bracks mit all der Natur und den alten Häusern wecken ihr Interesse. Ganz besonders, als sie auf den Namen „Abelke Bleken“ stößt und herausfindet, dass diese im 16. Jahrhundert hier im Ort ausgestoßen wurde und als Hexe ihr Ende fand. Britta beginnt augenblicklich zu recherchieren, ist beeindruckt vom Schicksal dieser starken Frau, bekommt jedoch Selbstzweifel, was ihr eigener Lebensweg angeht …

Abelke Bleken ist im Marschland zu Hause. „Ihr Leben lang hatte sie bloß den lehmigen Marschboden unter den Füßen gespürt, der weich und federnd war und oft so schlammig, dass man darin einsank.“
Nach dem Tod ihres Vaters übernimmt sie den Hof und führt ihn fort, ohne einen Mann an ihrer Seite. Sie weiß Wetter und Natur zu lesen, ist fleißig, muss sich jedoch immer wieder neu behaupten. Die Nachbarn sind neidisch, dass sie als Frau so gut allein zurechtkommt, und legen ihr immer mehr Steine in den Weg, bis sie der Hexerei bezichtigt wird und auf dem Scheiterhaufen landet …


MEINUNG:
Da ich „Bergland“ der Autorin sehr mochte und es immer noch in guter Erinnerung habe, wollte ich mir „Marschlande“ nicht entgehen lassen.

Dieses Buch spielt auf zwei Zeitebenen (Gegenwart und 16. Jahrhundert), die wunderbar miteinander harmonieren, sich gegenseitig ergänzen und dabei von zwei ganz unterschiedlichen Frauenschicksalen erzählen, die manches aber auch gemeinsam haben.

Vor allem der historische Vergangenheitsstrang hat mich von Anfang an begeistert und ich habe beim Leidensweg von Abelke im 16. Jahrhundert, sehr mitgefiebert. Sie ist eine taffe Person, die ihren Weg als unabhängige Frau geht und als sie damit Erfolg hat, nur Hohn, Spott und Neid von den Nachbarn abbekommt.
Ich war wieder mal erstaunt, wie schnell damals selbstbewusste, starke, unabhängige Frauen als Hexen bezichtigt wurden, nur um sie aus dem Weg zu räumen.

Britta blieb mir im fiktiven Gegenwartsteil anfangs etwas zu fern. Sie ist so unzufrieden mit ihrem Leben und damit, dass sie ihren Beruf für die Familie geopfert hat. Ich konnte erst nicht mit ihr mitfühlen und habe mich z. B. gewundert, dass ihr die Geschichte des Dorfes so wichtig ist, sie es aber gleichzeitig nicht schafft, die Umzugskartons auszupacken.
Doch das änderte sich mit der Zeit und die Entwicklung, die die Protagonistin durchläuft, hat mir gut gefallen, konnte mir meine anfängliche Skepsis nehmen und ich konnte mich immer besser auch auf Britta und ihre Situation einlassen.

Besonders gut hat mir außerdem gefallen, was beide Frauen gemeinsam haben: Den Kampf um Selbstbestimmung & Gleichberechtigung, der auch heute in unserer Zeit leider noch immer andauert …

Tatsächlich gelang es Jarka Kubsova erneut, mich von ihrer Schreibkunst zu überzeugen.
Ich mochte die melancholische, etwas traurige Stimmung, die sie mit ihren sprachlichen Bildern erzeugt. Sie beschreibt alles so atmosphärisch (vor allem die Naturbeschreibungen), dass man regelrecht in der Geschichte versinkt.
Hin und wieder habe ich zudem ein paar neue Worte und Bezeichnungen gelernt, die ich vorher nicht kannte.

Alles in einem, ein sehr lesenswertes Buch, das noch eine Weile in mir nachklingt!

FAZIT: Erneut überzeugt Jarka Kubsova mit atmosphärischem Schreibstil und interessanten Frauenschicksalen auf zwei Zeitebenen, die sie harmonisch miteinander vereint. Eindrucksvoll zeigt sie auf, wie Frauen unterschiedlicher Jahrhunderte für mehr Selbstbestimmung & Gleichberechtigung kämpfen. Lesenswert! 4,5/5 Sterne!

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