Zwei starke Frauen - damals und heute

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leukam Avatar

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Jarka Kubsova gelang mit ihrem Debut „ Bergland“ ein fulminanter Erfolg. Ich war von diesem Buch ebenfalls sehr begeistert, dementsprechend hoch waren meine Erwartungen und sie sind nicht enttäuscht worden.
Auch im neuen Roman stehen wieder zwei starke Frauen im Zentrum der Geschichte, doch dieses Mal trennen sie Jahrhunderte.
Britta, eine Frau Mitte Vierzig, ist gerade mit ihrem Mann Philipp und den beiden Kindern in die Marschlande vor den Toren Hamburgs gezogen. Obwohl mit dem eigenen Haus auf dem Land eigentlich ein Traum in Erfüllung gegangen ist, fühlt sich Britta nicht wohl hier. Sie hat Schwierigkeiten im Dorf anzukommen und ihre Arbeit als Teilzeitkraft füllt sie nicht aus. Ziellos beginnt sie die Umgebung zu erkunden. Dabei stößt sie auf das Schicksal von Abelke Bleken, die im selben Ort lebte und im Jahr 1583 als Hexe verurteilt und verbrannt wurde. Britta beginnt zu recherchieren und entdeckt dabei Parallelen zu ihrem eigenen Leben.
Kapitelweise wechselt Jarka Kubsova von der Gegenwart in die Vergangenheit. Schon die Eingangsszene, in der der Aufbau des Scheiterhaufens beschrieben wird, erschüttert und packt gleichermaßen.
Abelke war eine stolze und eigensinnige Frau, die ohne einen Mann ihren großen Hof bewirtschaftete. Neidisch und voller Misstrauen wird ihr Erfolg von der männlichen Nachbarschaft beäugt. Kann das mit rechten Dingen zugehen? Intrigen sorgen dafür, dass Abelke ihren Hof verliert, doch sie will sich davon nicht unterkriegen lassen. Aber ihre Gegner geben nicht auf und denunzieren sie als Hexe. Damit ist Abelkes Untergang besiegelt.
Die Autorin hat für diesen Roman intensiv recherchiert. So gelingen ihr nun eindrucksvolle Bilder und Szenen vom Alltagsleben und den dörflichen Strukturen zu jener Zeit. Die Bauern hier hatten es nicht leicht. Überschwemmungen, Hagel und Frost machten oft ihre ganze Arbeit wieder zunichte. Doch für eine Frau war es noch ungleich härter. Sie musste zwar genauso zupacken wie mancher Mann, doch dabei sollte sie brav und geduldig im Hintergrund bleiben. „ Die Sache ist die: Man kann Frauen viel wegnehmen, man kann ihnen sehr viel antun, aber solange sie das mit sich machen lassen, bleibt es dabei.“ heißt es im Roman. Und weiter: „ Der gefährliche Moment für Frauen ist oft erst der, wenn sie anfangen, sich zu wehren.“
Die Lebenssituation von damals kann man nicht mit der von heute vergleichen. Aber Britta stellt durch die „ Bekanntschaft“ mit Abelke ihr eigenes Leben zusehends in Frage. Hat sie nicht für die Familie ihre eigene Hochschulkarriere als Geographin geopfert? Und wird das überhaupt von ihrer Umgebung gewürdigt? Ungleichheit und Benachteiligungen erleben Frauen auch heute noch. Und sie stoßen oft auf Unverständnis, wenn sie aus ihrer Rolle fallen und Neues wagen möchten.
Mit diesem feministischen Ansatz verknüpft die Autorin die beiden Lebensläufe.
Die Geschehnisse in der Vergangenheit haben mich dabei stärker berührt. Es ist erschreckend zu lesen, was Abelke ertragen musste. Dabei spielen Neid und Missgunst der Nachbarn sowie der damalige Aberglaube eine große Rolle. Die tiefer liegende Motivation war aber die Gier der Oberen nach Landbesitz.
Die Figur der Abelke Bleken ist historisch verbürgt; mehr zum historischen Hintergrund erfährt der Leser im äußerst informativen Nachwort der Autorin.
Der Roman liest sich leicht, plastische Szenen und eindrucksvolle Landschaftsbeschreibungen sorgen für Atmosphäre.
„ Marschlande“ ist ein spannender und bewegender Roman über zwei selbstbewusste Frauen, dem ich viele Leser wünsche.