Die Welt verändert sich

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jackolino Avatar

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Schon das Cover hatte mich sehr angesprochen. Ich fühlte den Blick der jungen Frau auf mich gerichtet, als ob sie mich aufforderte, mich mit dem Buch zu beschäftigen. Und tatsächlich konnte ich zu der Insel schnell eine Verbindung aufbauen, weil wir sie schon einmal als Touristen von Trapani aus besucht hatten.

Wir hatten die Insel Katria als Favigniana kennengelernt und hatten den Tag dort sehr genossen. Umso erfreuter war ich, nun durch das Buch etwas über die Tradition des Thunfischfangs zu erfahren.

Die Mattanza ist eine alte Methode des Thunfischfangs. Obwohl diese im Laufe der Zeit viele typische Eigenschaften verloren hat, besitzt sie immer noch den Charme, allerdings auch die Grausamkeit einer alten Zeremonie.

Die gesamte Prozedur wird vom Rais angeleitet. Er entscheidet, wann die Mattanza anfängt und wann sie aufhört, wann die Netze geöffnet und wann geschlossen werden sollen. Er ordnet die Position der Boote an, so dass sie den Eingang der Thunfische in das Todesnetz erleichtern.

Auf Katria hat die Familie Lombardo seit vielen Jahrhunderten den Rais gestellt, immer ging das Amt an einen männlichen Nachfolger weiter, der von seinem Vorgänger ausgebildet und angeleitet wurde.

Aber 1960 kommt anstatt eines Jungen ein weiteres Mädchen zur Welt und so wird Nora die erste Rais in der Geschichte Katrias. Ihr Großvater nimmt sich ihrer an, nimmt sie in sein Haus auf und bringt ihr alles bei, was sie wissen muss. Sie wird eine würdige Nachfolgerin und es ist nicht ihr anzulasten, dass die Welt sich ändert.

Vor allem ändern sich die Methoden des Fischfangs. Die kleinen Fischerboote kommen gegen die Hochseetrawler nicht an, die Thunfischschwärme sind schon abgefischt, bevor sie Katria überhaupt erreichen. Und dieser gute Thunfisch geht zu einem sehr hohen Prozentsatz nach Japan. Italien erhält nur noch eine zweitklassige Qualität.

Es gibt da außerdem Ereignisse, die in den letzten Jahrzehnten den Wandel im Mittelmeer beschleunigt haben, die den Menschen einerseits ihre Lebensgrundlage nehmen, ihnen aber andererseits auch eine neue Grundlage bieten. Hier ist vor allem der Tourismus zu nennen.

Ganz aktuell sind Katria und Lampedusa auch durch die Flüchtlingsboote übers Mittelmeer bekannt geworden. Die Flüchtlingsströme gefährden nun schon wieder den gerade gut aufgenommenen Tourismus. „Wer kommt schon gerne auf eine Insel, auf der hinter Stacheldraht Hunderte von Menschen eingesperrt sind“.
Es waren aber auch noch andere Themen, die im Buch eine Rolle spielen:

Die Bedeutung von Tradition und althergebrachten Riten
Die Rolle der Frau
Die Unterschiede zwischen Besitzenden und Besitzlosen nicht nur in der Entscheidungshoheit über ihren Besitz sondern auch in der Hingabe an die Tradition
Wie weit darf man gehen, um den Lauf der Geschichte zu beeinflussen?

Nora hat sich der Tradition verschrieben, es war zwar nicht ihre Entscheidung Rais zu werden, aber sie trägt diese Entscheidung mit. Sie heiratet, aber es stellt sich kein Nachwuchs ein. Als ob der fehlende Stammhalter mit den ausbleibenden Thunfischen zusammenhängen würde.

Es ist ein sehr nachdenkliches Buch, ein Buch über die sich verändernde Welt, die selbst im letzten Zipfel Europas noch deutliche Spuren hinterlässt. Germana Fabiano schreibt wortgewaltig, ihre Beschreibungen lassen die Welt der Fischer vor den Augen des Lesers erstehen. Mir hat das Buch sehr gut gefallen und ich bin froh, darauf aufmerksam geworden zu sein. Bei nächster Gelegenheit werde ich es an Freunde in Trapani weitergeben, die uns damals auf Favignana aufmerksam gemacht hatten.