Vielfältiger Roman

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lalevi Avatar

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„Worte hemmen den Fluss der Gedanken und verändern sie. Die schönsten und erhabensten Dinge sind stumm, der Himmel und die Untiefen, die Klippen und die Wolken. Sie werden nur laut, wenn sie ihre Wut herausschreien müssen, sonst hinterlassen sie höchstens ein unterschwelliges Murmeln, einfach um sich zu versichern, dass sie existieren, und um das wahrzunehmen, muss man wirklich sehr genau hinhören.“ (S. 34)

Auf Katria, einer fiktiven italienischen Insel, steht ein Generationenwechsel an. Der Raìs, der der Anführer des traditionellen Thunfischfangs ist, wird bald sein Wissen über die Mattanza – wie die Jagd genannt wird – weitergeben müssen. Die Inselgemeinde wünscht sich hierzu sehnlichst einen Jungen, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Als 1960 Eleonora, genannt Nora, geboren wird, herrschen bei den religiös geprägten Bewohnern der Insel große Zweifel darüber, ob sie in die Fußstapfen ihres Großvaters, dem aktuellen Raìs, treten kann. Dass man auch als Frau eine ebenso gute Anführerin des Thunfischfangs sein kann und damit entgegen der Erwartungen der Inselbewohner den Anforderungen standhalten kann, stellt Nora unter Beweis. Doch was ist ihr das Erbe, das ihr aufgetragen wurde, wert? Und wie weit ist sie bereit, dafür zu gehen?

Die Geschichte zieht sich durch die Jahre 1960 bis 2012. Mit leichtem, fast melancholischem Schreibstil schafft es Germana Fabiano, einen in den Bann zu ziehen und mitzunehmen in eine interessante, von Traditionen und gesellschaftlichen Normen geprägte Welt und in die abergläubischen Weltanschauungen ihrer Bewohner. Dabei geht es mitnichten nur um die Thunfischjagd im engeren Sinne – es werden auch andere Themen eingearbeitet wie Flüchtlingsbewegungen, der ausufernde Tourismus und die Umweltverschmutzung. Das macht das Buch zu einem tiefgründigen Roman, dessen Inhalt manchmal auch zwischen den Zeilen zu finden ist. So sind die anderen Ebenen, vor allem die, in der es um Flucht und Vertreibung und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen geht, gut eingearbeitet und lassen einen sicher nicht kalt.

Gut gefallen hat mir auch die Skizze am Ende des Buchs, in der die sog. Tonnara aufgezeichnet ist, mithilfe derer die Mattanza stattfindet. Dadurch kann man während des Lesens Verständnisprobleme bei einigen italienischen Begriffen ausräumen, was mir enorm geholfen hat.

Insgesamt eine stille und gleichwohl kraftvolle Erzählung über die Anforderungen und Erwartungen einer traditionellen und religiös geprägten Gemeinschaft und davon, was sie aus den Fugen bringen kann.