Wenn plötzlich nichts mehr so ist, wie es war

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petris Avatar

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Katria ist eine fiktive Insel in Süditalien mit realen Vorbildern. Die Geschichte beginnt in den 60er Jahren. Während sich die Welt zu ändern beginnt, junge Menschen nach Befreiung streben, alte Regeln gebrochen und aufgehoben werden, scheint in Katria die Zeit stehen geblieben zu sein. Die Menschen auf der kleinen Insel leben vom Thunfischfang und folgen den Gebräuchen, Regeln, Techniken und Rhythmen, die seit Jahrhunderten überliefert wurden.
Dazu zählt, dass dem Raìs, dem Anführer des Thunfischfangs, der Mattanza, ein männlicher Nachfahre als neuer Raìs folgt. An ihn gibt er sein Wissen und seine Führung weiter. Doch der alte Raìs hatte keine männlichen Nachfahren, es gab nicht einmal einen Cousin und auch das letzte Enkelkind ist wieder ein Mädchen, Eleonara, von allen Nora genannt. Gegen das Murren der Fischer, des ganzen Dorfes, entscheidet der alte Raìs, dass sie seine Nachfolgerin werden soll. So zieht Nora als Kind zum Großvater, sie wächst einsam auf, von allen beobachtet und bewacht, fremd in der eigenen Familie. Sie nimmt diese schwere Aufgabe an, obwohl sie sich nach anderem sehnt, mit Verbissenheit, Talent und Härte wird sie der neue Raìs.
Doch auch die Insel bleibt nicht verschont von den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Erst kommen die Touristen, kritisch beäugt, aber auch eine gute Einnahmequelle und dann kommen die ersten Boote mit Geflüchteten, wieder ist alles anders. Und durch das industrielle Fischen bleiben auch die Thunfische immer mehr aus.
Wird es Nora gelingen, ihre Insel durch all diese Veränderungen zu führen? Hat sie überhaupt eine Chance?
Diese Geschichte wird von der Autorin meisterhaft in karger, aber dennoch sehr poetischer Sprache. Man kann das Meer riechen, sieht die Bewohner der Insel vor sich und obwohl das Buch nicht sehr viele Seiten hat, lernen wir die Menschen gut kennen. Ich mochte den Roman von der ersten Seite an, tauchte ein in die Geschichte und die Sprache. Und obwohl mir sehr wohl bewusst ist, was sich für so kleine Mittelmeerinseln seit den 60er Jahren verändert hat, vor allem auch solche, die erster Anlaufpunkt für Flüchtlingsboote sind, habe ich bisher nicht verstanden, was das wirklich für die Menschen bedeutet. Wie wurzellos sie sich fühlen müssen in einer Welt, die sich so schnell verändert und in der jahrhundertealte Gesetze plötzlich nicht mehr gelten.
Ein großartiger Roman, den ich wärmstens empfehlen kann. Mal wieder ein Kleinod aus dem mare Verlag, der auch mit seinem intensiven Cover besticht.