Spannungsgeladener Auftakt um eine reiche, mächtige norwegische Reeder-Familie

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swansea Avatar

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"Meeresfriedhof" von Aslak Nore stellt den Auftakt einer Trilogie dar, die mich tatsächlich vom Aufbau her entfernt an Stieg Larsson erinnerte; in dessen Tradition dieser vielschichtige Roman (eher literarischer Thriller) geschrieben wurde. Erschienen ist er (brosch, 542 Seiten) im KiWi-Verlag; also Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2024. Übersetzt aus dem Norwegischen hat ihn Dagmar Lendt.


Inhalt:


"Meeresfriedhof" ist der Beginn einer 3-teiligen Saga um die mächtige Reeder-Familie Falck (Reeder, Wohltäter, Politiker), die eine zentrale Rolle in der norwegischen Geschichte des 20. Jahrhunderts in diesem Roman spielt und sich in zwei Familienzweige aufspaltet: Die reichen Osloer-Falck's (Inhaber einer Reederei und expandierenden SAGA-Gruppe incl. einer Stiftung). Oberhaupt ist (noch) Olav Falck, dessen Mutter Vera Lind, einst Schriftstellerin, sich in hohem Alter von den Klippen stürzt (war es überhaupt Selbstmord?), worüber besonders Enkelin Alexandra/Sasha genannt sehr bestürzt ist und die Wahrheit über ihre Großmutter herausfinden möchte; weitere Figuren sind Sverre Falck und Andrea Falck, die Olav jedoch nicht so nahestehen wie Sasha, die sein Augenstern ist und eine Forschungsgruppe sowie das Archiv von SAGA leitet.

Die Bergenser Falck-Familie dagegen ist arm; sie lebt in einem Anwesen, das Vera Lind ihnen als Eignerin zu einem Spottpreis zur Miete überlassen hat und die Osloer an französische Schlösser denken lässt (Tische voller feinster Speisen, während sich die Bewohner frierend um den Kamin scharen). Das Oberhaupt dieses Zweigs ist Hans Falck, der sehr anders geartet ist als Olav: Hans Falck ist Arzt, Sozialdemokrat und ein Womenizer, der Menschen durch seine Ausstrahlung und seinen Charme für sich einnimmt. Er erhielt viele Auszeichnungen für seine Einsätze als Arzt im Nahen Osten (ausser Norwegen weitere Schauplätze des Romans; Nordirak, Kurdistan etc.)


Die Familie stellt fest, dass nach dem Tod von Vera deren Testament unauffindbar ist - und die Zerreißprobe beginnt: Hat sie evtl. Hans Falck mehr begünstigt als die Osloer Familie um Olav Falck? Was war in den 1970er Jahren tatsächlich passiert - und weshalb brach Vera damals ihre schriftstellerische Tätigkeit abrupt ab?


Die Spuren führen weiter in die Vergangenheit, in die Zeit der deutschen Besatzung Norwegens durch die Nationalsozialisten: War Thor- Store Falck wirklich ein Widerstandskämpfer oder machte er eher gemeinsame Sache mit den Deutschen, die vom Transportwesen ins nördliche Norwegen von den Hurtigrutenschiffen abhängig waren, um (auch) als Kriegsgewinnler aus dieser Zeit hervorzugehen?

Die spannendste aller Fragen - die in Teilen des Manuskripts von Vera - also noch ein Buch im Buch - beantwortet werden, wenn auch fiktiv, ist die, aus welchem Grund das Schiff 'DS Prinsesse Ragnhold' am 23.10.1940 unterging; mit ihm über 400 Menschen, von denen nur wenige gerettet werden konnten....


Meine Meinung:


Das Lesen dieses sehr komplexen und vielschichtigen, spannenden literarischen Thrillers (was das Genre eher trifft als Roman; denn es gibt durchaus Krimi- und Thrillerelemente) verlangt dem Leser einiges ab: Die handelnden Figuren, besonders Olav Falck, Sasha, Sverre und auch Hans, sind nicht leicht zu durchschauen und wechseln als Sympathieträger wie Chamäleons: Besonders der Osloer Familie geht es um Macht und dem Erhalt derselben, Familienerhalt (familia ante omnia - die Familie zuerst) und sie ist gerissen genug, ihre Finger in so mancherlei Machtspielen zu haben (Geheimdienste, Politik, Verbindungen zu wichtigen Funktionsträgern im Staat etc.); in gewisser Weise wirken sie eiskalt und skrupellos, wenn es um ihre Interessen, um SAGA und der Familie geht: Wahrheit wird gerne mit einem Tuch aus Lügen überdeckt und der Schein der "Sauberkeit" gewahrt, um welchen Preis auch immer. Zeitweise sieht es so aus, dass Sasha Falck da anders gestrickt ist; doch immer wieder überraschen die ProtagonistInnen, da sie über Wendehälse verfügen, die stets die eigene Sicherheit abdeckt - und andere in Lebensgefahr bringen kann: Eine sehr interessante Figur ist John Omar Berg, genannt Johnny, der von Hans Falck beauftragt wird, seine Biografie zu schreiben: Hans lehnt sich (zurecht) gegen das Unrecht in der Welt auf und in den Ausflügen in die Weltpolitik (Afghanistan, Nordirak) spürt man sein Entsetzen über dortige Verhältnisse und sinnlosem Blutvergießen, das kein Arzt-ohne-Grenzen wirklich stoppen kann: Diese Ausflüge mit Hans oder "JB", also Berg, lassen hier durchaus politische Anteile einfließen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen können.

Der Stil von Aslak Nore ist schnörkellos, packend und lässt den Leser bald schon nicht mehr los: Im letzten Drittel des Romans steigt der Spannungsbogen, auch durch die Manuskriptseiten, nochmal an, um mit unvorhersehbaren Wendungen und einem Cliffhanger zu enden: So kann der geneigte Leser dem 2. Teil (Felsengrund) lange entgegenfiebern, der 2025 erscheinen wird.


Fazit:


Ein sehr spannender, vielschichtiger, komplexer literarischer Thriller um eine reiche Reeder-Familie, um Macht und Reichtum, Lügen und Vertuschungen im Kampf um die Wahrheit. Aslak Nore hat um den historisch belegten Untergang des DS 'Prinsesse Ragnhild' im 2. WK (der Grund ist bis heute unklar!) eine unglaublich spannende Geschichte gewoben, in dem eine mächtige Reeder-Familie und auch die Geschichtsschreibung Norwegens eine große Rolle spielt. Er zeigt in authentischer Weise auf, dass Geschichte immer von den Mächtigen geschrieben wird; auch wenn sich so manches ganz anders zugetragen haben könnte. Interessant in diesem Zusammenhang auch der reale politische Charakter sog. Stiftungen, die oftmals nur ein Deckmantel für andere (politischen) Interessen abgeben. Von mir für diesen hervorragenden literarischen und historisch interessanten Thriller um Vera Lind und die Familie Falck eine absolute Leseempfehlung und 4,5 *