Obsession und Kontrolle

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madame—rivkele Avatar

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«Ich liebe meinen Mann wie am ersten Tag, wie ein Teenager, mit einer jugendlichen und anachronistischen Liebe. […] Ich lebe in der Angst, ihn zu verlieren.» (S. 9)

Mein Mann von Maud Ventura schildert eine Woche aus dem Leben der namenlosen Protagonistin, deren Gedanken sich beinahe ausschließlich um ihren (ebenfalls namenlosen) Mann drehen. Immer mehr wird deutlich, wie ambivalent ihre Gefühle sind. Sie lebt in vollkommener emotionaler Abhängigkeit von ihrem Mann und ist sich dessen auch bewusst; gleichzeitig leidet sie unter der Hierarchie, die sich daraus ergibt.

«In einer Ehe muss man Kompromisse schließen können. Aber warum soll ausgerechnet ich mich anpassen? Es gibt für ihn genauso viel Grund, mich anzupassen wie für ihn.» (S. 78)

Durch ebenfalls obsessive Kontrolle versucht sie, sich in ein Leben einzufügen, in dem sie nicht sie selbst sein kann. Von gefärbten Haaren über komplizierte Tagesabläufe und erlernte Benimmregeln. Teilweise liest sich der Roman wie eine gelungene Kritik am Bürgertum.

Die Geschehnisse werden in Form eines Inneren Monologs geschildert. Diese Wahl der Erzählung führt dazu, dass die Gefühle und Gedankengänge der Protagonistin merkwürdig nachvollziehbar werden, so obsessiv sie auch sein mögen. Gleichzeitig bleibt „ihr“ Mann ungreifbar. Bis zuletzt fällt es schwer, ihn und somit auch die Beziehungsdynamik zu durchschauen.

Maud Ventura gelingt es in ihrem Debütroman, eine facettenreiche Protagonistin zu erschaffen, die nahbar und gleichzeitig unverständlich bleibt. Es ist ungewohnt und schwierig, sich mit einer Figur zu identifizieren, die so wenig Sympathieträgerin ist, wie sie. Ich habe das Buch auch deswegen sehr gerne gelesen und es hat mich oft zum Nachdenken gebracht. Darüber, welches Verhalten moralisch vertretbar ist, warum mir manche Gedankengänge seltsam bekannt vorkommen, sie in diesem Kontext zu lesen, sich aber ganz falsch anfühlt.

Mein Mann ist 2021 unter dem Titel Mon Mari in Frankreich erschienen, wo er mit dem Prix du premier roman ausgezeichnet wurde.

Ein absolut lesenswerter Roman.