Feministisches Meisterwerk

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Isabel Allende hat mit „1866 erblickt Emilia del Valle“ einmal mehr bewiesen, dass sie zu den kraftvollsten Stimmen feministischer Literatur gehört – und dass sie Geschichten erzählen kann, in denen Frauen nicht nur leben, sondern kämpfen, träumen, scheitern und triumphieren.
Im Mittelpunkt steht Emilia, geboren in einer Zeit, in der Frauen vor allem als hübsches Beiwerk zur Welt gedacht waren. Doch Emilia del Valle, Tochter einer irischen Nonne und eines chilenischen Aristokraten, macht schnell klar: Sie ist kein Beiwerk, sie ist das Zentrum ihrer eigenen Geschichte. Aufgewachsen in einem armen Viertel San Franciscos, geprägt von einem liebevollen Stiefvater und einer Gesellschaft, die sie kleinhalten will, entwickelt sie früh einen scharfen Geist, Widerspruchsgeist – und eine unstillbare Lust zu schreiben.
Allende skizziert Emilia nicht als makellose Heldin, sondern als eigensinnige, manchmal impulsive Frau, die sich mit dem männlich dominierten Literaturbetrieb anlegt, indem sie unter Pseudonym schreibt – ein stiller feministischer Akt, der schmerzlich zeigt, wie sehr weibliche Stimmen im 19. Jahrhundert unterdrückt wurden. Doch Emilia will mehr als heimlich publizieren: Sie will sehen, erleben, verändern. Als Reporterin bricht sie mit gesellschaftlichen Normen und tritt ins Zentrum politischer Umbrüche.
Allende verwebt diese persönliche Emanzipation mit der politischen, ohne je belehrend zu sein. Emilia ist keine Frau für jemanden – sie ist eine Frau trotz allem. Die Liebe zu Eric bleibt dabei wohltuend ambivalent. Sie ist da, sie ist intensiv, aber sie ist nicht das Ziel. Es geht nicht darum, dass Emilia in einem Mann ihr Glück findet – sondern in sich selbst.
Besonders feministisch, und wie ich finde besonders beeindruckend, ist Allendes Blick auf Mutterschaft und Abstammung. Die Geschichte ihrer Eltern, besonders der Bruch mit traditionellen Familienmodellen, wird nicht romantisiert, sondern als Ursprung einer neuen, widerständigen Weiblichkeit erzählt.