Irrfahrt durch ein schreckliches und doch schönes Leben
Um es gleich vorwegzunehmen – ironisch ist der Roman nicht, auch wenn er bei uns Lesern so ankommen mag. Vielmehr macht es traurig, Cassandra durch den Spießrutenlauf ihres Lebens zu begleiten. Die junge Frau hat leicht autistische Züge. Emotionen anderer Menschen sind für sie ein Rätsel. Wenn sie sie wahrnimmt, dann als Farben, teilweise sind es ganze Feuerwerke, die in ihrem Kopf explodieren. Ratend tastet sie sich durchs Leben und wirkt dabei oft unfreiwillig komisch oder seltsam, denn nur zu oft trifft sie nach dem Try&Error-Prinzip nicht den richtigen Ton oder hält irritierende Monologe, stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste. Als junge Frau ohne soziale Bindungen, die sich bei Notsituationen nur beruhigen kann, wenn sie sich wie ein Igel zusammenrollt, notfalls auch an einer Ampel, arbeitet sie ausgerechnet in einer PR-Agentur und scheitert immer wieder kläglich an ihrem fehlenden zwischenmenschlichen Draht. So verliert sie an einem Tag nicht nur ihren Freund, der keine Bindung zu ihr aufbauen kann, sondern auch ihren Job. Per Zufall entdeckt sie, dass sie eine bestimmte Spanne in der Zeit zurückreisen kann und so versucht sie, ihr Leben perfekt durchzuorganisieren. Doch ihr Alltag ist ziemlich kompliziert (wenn sie nicht gerade in der Badewanne liegt und auf Farbfächer starrt, die eine beruhigende Wirkung auf sie haben), und so muss sie oft mehrmals am Tag durch die Zeit reisen – was zwangsläufig zu noch mehr Chaos führt. Holly Smale nimmt den Leser mit auf eine Reise durch das Leben eines Menschen, der ziemlich viele Ecken und Kanten hat und in der Umlaufbahn des Lebens immer wieder aneckt, ins Trudeln kommt, sich überschlägt. Es schmerzt, Cassandra dabei zuzusehen, wie sie sich immer wieder aufrappelt und erneut scheitert. Während des Lesens haben sich mir viele Fragen eröffnet. Angefangen mit dem Aspekt, warum man sein Kind nach einer griechischen Seherin benennt, deren Unglück damit begann, dass sie zwar die Zukunft voraussah, aber niemand ihr glaubte, sondern sie des Wahnsinns verdächtigte? Welch absurder Witz, einem Kind diese schwere Bürde quasi in die Wiege zu legen? Warum haben ihre kultivierten Eltern, die eine fragwürdige Liebe zur griechischen Mythologie auszeichnete, ihr nicht schon in jungen Jahren eine Therapie ermöglicht und ihr die Chance verbaut, zu erkennen, dass sie die Welt nur einfach anders wahrnimmt, dadurch aber nicht schlechter ist als andere, auch wenn diese es ihr immer wieder suggerierten? Cassandra spielt nicht gut mit anderen, Cassandra fügt sich schlecht ein. Cassandra muss immer im Mittelpunkt stehen – Bewertungen von Kindergärtnern und Lehrern, bei denen die Eltern hätten hellhörig werden lassen müssen, statt sie nur abzuschirmen, ihr zu erlauben, sich einen Rückzugsort von der Welt zu erschaffen, einen Kokon, in den sie sich immer wieder zurückzieht, wenn es schwierig wird. Eine Technik, die ihre Eltern unterstützt haben, die aber nun nicht mehr da sind, um sie zu beschützen. Eine Technik, die sie, bis sie 31 Jahre alt ist, beibehält, bis sie plötzlich merkt, dass sie nicht sich, sondern ihr Leben ändern muss und zwar nicht durch Zeitreisen. Trotz allem macht Holly Smale in ihrem Buch Hoffnung: Hoffnung, dass sich etwas ändern kann, indem man auf andere zugeht, sich auf Menschen einlässt, damit sie verstehen können, dass da etwas anders an einem ist und dennoch nicht weniger liebenswert. Gleichzeitig ist es ein Buch, dass sensibilisiert, sich den Anderen, der da auf der Straße in einem scheinbar absonderlichen Takt neben einem geht, genauer anzuschauen, hinter die Fassade zu blicken und das Andere nicht nur zu akzeptieren, sondern auch als Chance zu sehen, selbst zu wachsen.