Aktuell, hochinteressant und aufschlussreich!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
gaia Avatar

Von

Christian Weißgerber beschäftigt sich in seinem Buch mit nicht nur seinen eigenen Gründen, ein Neonazi geworden zu sein, sondern auch die gesellschaftlichen Gründe für einen zunehmende Ausrichtung nach Rechts. Dabei beginnt das Buch zunächst zum größeren Teil die biografischen Eckpunkte aus psychologischer Sicht zu einer Herleitung zusammenzuweben, welche den Weg zum Neonazi als Entscheidung und weniger als Opfer äußerer Gegebenheiten darstellt. Dies stellt der Autor auch gleich in der Einleitung klar. Zum Ende hin besteht die Abhandlung zum größeren Teil aus gesellschaftspolitischen, soziologischen und auch mitunter philosophischen Betrachtungen zur Neonaziszene. Das Buch endet in einem Plädoyer für die Möglichkeit zur Veränderung und mit einer Mahnung in Hinblick auf die Neue Rechte.

Weißgerber verstrickt diese beiden Elemente der Mikro- und Makroebene argumentativ nachvollziehbar und erhellend. Selbst für gesellschaftlich Interessierte tun sich im Buch neue Erklärungen für subkulturelle Phänomene auf, die so nur Insidern erkennbar sein können. Das ist meiner Meinung auch eine Große Stärke des Buches. Weißgerber hat kein „Aussteigerbuch“ im bekannten Sinne geschrieben. Er erzählt kaum über den Ausstieg als vielmehr über die rechte Szene als solche, wie sie sich noch vor wenigen Jahren aber auch aktuell darstellt und findet klare Worte zur derzeitigen rechten Strömung unter „besorgten Bürgern“. Er nimmt dafür sowohl argumentativ als auch rhetorisch rechtes Gedankengut auseinander und verdeutlicht starke Parallelen auch zu linksradikalen Ansichten wie bspw. Im Rahmen der Kapitalismuskritik. Dem Leser wird schnell klar: Das alt hergebrachte Rechts-Links-Schema ist längst überholt. In Bereichen wie z.B. ökologischem Handeln unterscheiden sich die Akteure nicht mehr durch ihre Einstellungen, sondern vielmehr nur durch die Gründe, weshalb sie ökologisch protektiv agieren. Dazu werden stets historische Entwicklungen in „der“ Szene (obwohl offensichlich wird, dass es „die eine“ Szene gar nicht gibt) aufgeschlüsselt. Der Leser wird an die Hand genommen, um die Übersicht nicht zu verlieren. Sprachlich merkt man dabei dem Autor sein Studium der Philosophie und Sprechwissenschaften an. Als Leser folgt man gern den argumentativen Linien des Autors.

Als einziges Manko sehe ich manche lapidare Sprachbilder, die der Autor in der Beschreibung der Neonazis verwendet. Es handelt sich durchweg um ein ernstes Buch, welches auch ernst genommen werden sollte, was jedoch bei so manchen Überschriften und Bemerkungen schwerfallen könnte. Als Beispiel die Kapitelüberschrift „50 Shades of Braun“ oder Sätze wie: „Ein Großteil der Konzertbesucher und –besucherinnen war standesgemäß in Bomberjacken und Springerstiefel gekleidet und hatte bis über beide Ohren kreisrunden Haarausfall.“ und „Die Puristen erhoben mahnend den rechten Zeigefinger“. Neben diesen sprachlichen Kalauern fallen vor allem im hinteren Teil zunehmend Tippfehler auf, die man überlesen kann, was jedoch schwer fällt bei „Staufenberg“. Niemand ist perfekt, aber einem sehr guten Lektorat, was ich beim Orell Füssli Verlag eigentlich erwarte, sollten solche Schnitzer, besonders bezogen auf die oben genannten Kalauer, nicht passieren.

Insgesamt bin finde ich das Buch von Weißgerber sehr aufschlussreich, hochinteressant und defintiv weiterzuempfehlen an politisch und soziokulturell Interessierte.