Alles andere als perfekt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
justm. Avatar

Von

Vater, Mutter und drei Kinder - klingt nach der perfekten Familie.
Aber, wenn die Familie von Michael, Alice und Hanna eines ganz sicher nicht ist, dann perfekt. Beim Lesen bekommt man eher das Gefühl, daß sie das komplette Gegenteil ist.

Und das merkt man ziemlich schnell: Alle Figuren im Buch wirken verspannt, beinahe neurotisch und man neigt dazu die eine oder andere psychische Störung diagnostizieren zu wollen. Daß ausgerechnet das später tatsächlich noch zum Thema wird, kam gleichzeitig unerwartet und war dennoch irgendwie abzusehen.
Dabei wird das Thema zu keinem Zeitpunkt auf die leichte Schulter genommen und meines Erachtens werden die Schrecken, die psychische Erkrankungen, sowohl für Betroffene, als auch Angehörige, mit sich bringen, sehr gut beschrieben und nicht dafür mißbraucht billige Witze zu reißen.

Und wo wir gerade bei Witzen sind: Mir ist schleierhaft wie The Times, die auf dem Schutzumschlag zitiert wird, das Buch "... so lustig!" finden kann. Denn „Meine bessere Schwester“ ist sicher vieles, komplex, interessant, scharfsinnig würden mir da einfallen, aber lustig? Nein. Eher nicht. Vielleicht hab ich aber auch einfach einen völlig anderen Humor!? Oder war von dem (subtilen) Grauen, das ich da vor mir hatte, völlig geplättet.

Damit möchte ich das Buch aber auf keinen Fall schmälern.
Denn die Zeitreise durch die Geschichte der Familie - immer wieder aus verschiedenen Perspektiven der einzelnen Mitglieder erzählt - zieht einen definitiv in ihren Bann. Allerdings war es bei mir eben ein wenig der Schrecken darüber, wie schlimm Menschen, die dazu noch miteinander verwandt sind, miteinander umgehen können, der mich bei der Stange hielt.

Auch war mir lange unklar in welche Richtung sich das Buch entwickeln würde, dabei ist es "einfach nur" eine Familiengeschichte. Und zwar die einer Familie, die eben nicht aus dem Bilderbuch stammt und es nie wirklich leicht hatte.
Inwiefern man den einzelnen Familienmitgliedern die Schuld daran geben möchte oder ob die Ausführungen von Autorin Rebecca Wait Erklärungen für das Verhalten der einzelnen Figuren dafür bieten, das müssen die Leser*innen am Ende selbst für sich entscheiden.

Ich für meinen Teil vergebe für diese durchaus gelungene Analyse einer dysfunktionalen Familie 3,5 Sterne und empfehle das Buch gerne weiter. Menschen, die ähnlich, sagen wir schwierige, Familienverhältnisse kennen, könnten sich hier aber vielleicht an der einen oder anderen Stelle getriggert fühlen.