Komplexe Familien-Traumata

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amara5 Avatar

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In „Meine bessere Schwester“ seziert die Autorin Rebecca Wait scharfsinnig und mit subtilen Humor die komplexen Dynamiken einer Familie, die unter toxischen Verstrickungen und generationsübergreifenden Traumata leidet. Dabei kommen facettenreich alle Familienmitglieder Stück für Stück zu Wort und ihre seelischen Verletzungen werden detailliert sowie mit Rückblicken untersucht.

Alice und Hanna sind Zwillingsschwestern, aber alles andere als unzertrennlich und sehr unterschiedlich – seit Jahren sprechen sie nicht mehr miteinander und treffen erstmals wieder bei der Beerdigung ihrer an Schizophrenie erkrankten Tante Katy aufeinander. Auch der Kontakt zu Mutter Celia und Bruder Michael ist für Hanna abgerissen und während Rebecca Wait feinfühlig die Lebenswege der Protagonisten nachzeichnet, wird diese Spaltung und mögliche Familienzusammenführung der berührend-humorvolle Plot der Geschichte ausmachen.

„Es tut mir leid, dass du dich so fühlst“ lautet der englische Originaltitel dieser flüssig und klug geschriebenen Tragikomödie und dieser macht deutlich, worauf es hinausläuft: Die Familie lernt, sich langsam zu öffnen und ihre Finger in die schmerzenden Wunden zu legen. Mutter Celia hat selbst an der psychischen Erkrankung ihrer Schwester und der Vernachlässigung durch ihre Eltern gelitten, gibt aber ihre alte Verletzungen in Form von emotionalen Erpressungen und Zwanghaftigkeit an ihre Kinder weiter – nicht jedes wird gleich geliebt und schnell verurteilt; der Ehemann und Vater verlässt die Familie. Und so entwickeln sich die Geschwister in diesem familiären Geflecht sehr unterschiedlich: Während Hanna selbstbewusst ist, ist für die schüchterne Alice das Leben eher von Hindernissen und Einsamkeit geprägt. Sie klammert auch noch später ungesund an der narzisstischen Mutter, will ihr alles Recht machen und hat Angst vor dem Scheitern – was ihr Leben zum Stillstand gebracht hat.

Die klar und scharf beobachtete Familienaufstellung spickt Rebecca Wait noch mit lustigen Alltagsbeobachtungen, was die ernsten Themen auflockert und ein authentisch-rundes Gesamtbild ergibt. Jeden ihrer Protagonisten zeichnet Wait dicht und mit viel Liebe zum Detail – der Leser fiebert empathisch mit Hanna, Alice und ihrem weiteren möglichen Lebensweg mit. Eine außergewöhnliche, pfiffige und lebensnahe Geschichte über dysfunktionale Familienstrukturen mit Tiefgang und Witz!