Ein Gesellschaftsporträt Neapels unter der Herrschaft der Camorra

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miro76 Avatar

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Elena und Raffaella, von Elena liebevoll Lila genannt, wachsen in den 50er Jahren in einem armen Viertel von Neapel auf. Ihr Leben ist geprägt von der Camorra, von streitenden Familien und Vendetta. Gewalt gehört zu ihrem Alltag.
Aber Elena und Lila heben sich aus diesem Alltag heraus. Lila hat einen messerscharfen Verstand und bewältigt die Schule ohne viel Aufwand mit Bravour. Elena ist äußerst fleißig und steht Lila in nichts nach. Doch Lila wird eine schulische Laufbahn verwehrt. Sie muss in der Schusterwerkstatt ihres Vaters mitarbeiten.
Während Elena die Mittelschule und später das Gymnasium besucht, lernt Lila heimlich mit Elena mit. Aber auch in der Werkstatt bringt sie sich ein und entwirft neue Schuhmodelle, die durch Leichtigkeit und Design hervorstechen.

Lila glänzt in allem, was sie macht. Ihre Fähigkeiten scheinen unerschöpflich. Sie ist außerdem ausgesprochen mutig, frech und vorlaut. Sie lässt sich nicht in die gesellschaftlichen Schubladen sperren und strebt nach Höherem. Elena lässt sich mitziehen. Ihre Freundschaft ist geprägt von Wettstreit, Bewunderung, aber auch Eifersucht und Neid. Elena sieht ständig zu ihrer Freundin auf, dabei ist sie es, die sich in schulischem Erfolg sonnt.

Elena: „Es war eine alte Angst, eine Angst, die mich nie verlassen hatte, die Angst, mein Leben könnte an Intensität und Gewicht verlieren, wenn ich Teile ihres Lebens verpasste.“ (S. 265)

Doch es ist Lila, die das Rione nicht verlässt. Mit nur 16 Jahren heiratet sie Stefano, der die Schuhmacherei der Vaters finanziert und muss feststellen, dass sie der Camorra nicht entkommen kann. Sie bittet Elena:
„Was auch geschieht, du musst weiterlernen.“
„Du bist meine geniale Freundin, du musst die Beste von allen werden, von den Jungen und von den Mädchen.“ (S. 398)

Und ich bin extrem gespannt, was aus den beiden Freundinnen wird. Aus dem Vorspann wissen wir bereits, dass Lila verschwunden ist, vorher aber Neapel nie verlassen hatte. Beide Freundinnen haben Kinder und haben stets Kontakt gehalten, wenn auch nicht immer ganz regelmäßig.

Das Verschwinden Lilas gibt Elena den Anstoß ihre Geschichte zu erzählen. So lässt Elena Ferrante ihre Erzählerin zurückblicken und in diesem ersten Band ihre Kindheit und Jugend schildern. Die Spannungen im Alltag zwischen Männerproblemen und Gewalt sind großartig beschrieben. Die Erzählerin steckt nicht mehr im Geschehen fest und wechselt immer wieder in die Metaebene, um uns die Hintergründe begreifbar zu machen. Das gelingt großartig, ohne zu belehren.

Meine Neugierde ist geweckt und das FerranteFever hat mich gepackt. Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, wie es mit den beiden Mädchen weitergeht und natürlich was es mit Lila Verschwinden auf sich hat!