Ein ungewöhnlicher Roman

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mangobelle Avatar

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Ich muss zugeben, dass mich die erste Hälfte des Buches aufgrund seiner mitreißenden Sprache zwar fesseln konnte, ich aber dennoch ratlos zurückblieb. Die ganze Zeit fragte ich mich, was will mir die Autorin eigentlich sagen? Warum um alles in der Welt, sind diese beiden Mädchen miteinander befreundet?

Obwohl zu Beginn erzählt wird, wie die wahrscheinlich knapp 70-Jährige Lila plötzlich spurlos verschwindet und dabei vorab sämtliche Erinnerungen von sich ebenso verschwinden lässt, ist der Rest des Buches doch eher ein Jugendroman. Nicht in dem Sinne, dass er für Jugendliche ist, sondern indem er hauptsächlich von zwei Mädchen erzählt, die im Laufe des Buches von Grundschülerinnen, zu 16jährigen Frauen heranwachsen.

Dieses Heranwachsen geschieht in einem ärmlichen Viertel von Neapel, indem Gewalt, Drohungen, Fehden und gegenseitiger Hass an der Tagesordnung sind. Sogar vor Mord oder zumindest Mordversuchen wird nicht zurückgeschreckt.

Die beiden Protagonistinnen sind sehr gut in der Schule. Lenuccia (genannt Lenu und gleichzeitig Erzählerin) muss sich jedoch immer anstrengen und viel lernen. Ihre Freundin Lila erscheint jedoch als ein Genie, die sich zum Beispiel vor der Schule bereits das Lesen beigebracht hat.
Ihre Wege trennen sich jedoch nach vier Grundschuljahren. Denn während sich Lenus Eltern auf Rat der Lehrerin dazu überreden lassen, in eine teuere und in ihren Augen sinnlose weitere Schulbildung ihrer Tochter zu investieren, beenden Lilas Eltern deren Schulbildung bereits nach der Grundschule. Ein Umstand, der zumindest in diesem Viertel, in dem einige nur mit Mühe lesen können, in den 1950ern völlig normal war. Zunächst hat Lila dennoch den Ehrgeiz ihrer Freundin zu beweisen, dass sie das auch alles kann und lernt eben zu Hause mal ebenso Latein und später Griechisch, doch aufgrund einiger Umstände lässt sie davon ab, was später auch zu einer Entfremdung der beiden führen wird.


Wie ich bereits schrieb, habe ich mich auf den ersten 200 Seiten ständig gefragt, warum die beiden befreundet sind. Denn eigentlich standen sie permanent in einem Wettkampf und das nicht nur in schulischer Hinsicht, sondern auch in Hinblick auf Schönheit und Beliebtheit. Teilweise wurden böse Streiche gespielt, Missgunst gezeigt oder sich einfach nicht für den anderen gefreut. Im weiteren Verlauf wurde zumindest deutlich, dass es der intellektuelle Aspekt ist. Das sich gegenseitig anstacheln und das damit verbundene Vorankommen, dass sie beiden Mädchen zusammenschweißt. Als dieses Anstacheln wegzufallen droht, ist auch ihre Freundschaft bedroht.

Das Buch ist sehr fesselnd geschrieben. Auch wenn mich der Inhalt manchmal ratlos zurückgelassen hat, so verstand es doch die Sprache mich weiterlesen zu lassen. Dankbar war ich auch über das im Buch enthaltene Faltlesezeichen, auf dem sämtliche Hauptpersonen noch einmal nach Familien sortiert aufgelistet waren. DAS war nötig! Denn bei Antonio, Alfonso, Stefano, Pasquale, Rino, Carmela, Ada, Melina und wie sie alle heißen, hätte ich doch sonst restlos den Überblick verloren.
Doch auch wenn die Anzahl der Handelnden viel erscheint, so wirkt sie doch nicht übertrieben, sondern als nötig, dass Leben in einem ärmlichen Viertel Neapels, in dem auch die Mafia aktiv ist, mit all seinen Facetten zu beschreiben.

Einzig übertrieben fand ich manchmal die ausufernd positiven Beschreibungen Lilas durch Lenuccia. Der perferkte Körper, die perfekten Haare, kurz: der Frau, der alles steht, alles kleidet und der alle Männerherzen zufliegen. Etwas weniger ausschmückend hätten diese Stellen schon sein können.

Als ich mit dem Buch fertig war, war ich dennoch zufrieden. Zumindest meine Fragen hatten sich fast alle geklärt. Einzig, dass offene Ende, das auf den zweiten Roman hindeutet, war etwas störend ;)