Neapolitanische Saga Teil 1 - Sehr langatmig und dennoch faszinierend

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mel.e Avatar

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"Meine geniale Freundin" ist der erste Teil einer Reihe, der mich mitnahm in die Kindheit und frühe Jugend der Protagonisten Lila und Elena. Ich bin dankbar, das ich in einer Zeit lebe, in der Frauen mehr Rechte zustehen und ich als Frau anerkannt leben darf. Unterordnung und Gewalt wird deutlich und hat mich manches Mal wirklich wütend werden lassen. Das Recht auf Bildung für Frauen ist eher eine Seltenheit. Stattdessen wird Frauen der Mund verboten und sie müssen sich innerhalb ihrer Familie anpassen. Wie kann man dieses aushalten? Kein Wunder, dass Lila auszubrechen versucht.

Die Unterschiede von Lila und Elena werden schnell deutlich. Unter den Freundinnen herrscht ein regelrechter Konkurrenzkampf. Während Elena weiterhin die Schule besuchen darf, muss Lila in der Familienschusterei mitarbeiten. Sie entwirft ein paar Schuhe, das immer wieder Hauptthema ist. Es ist anmaßend, das eine Frau über das Geschick und Talent verfügt ein paar Schuhe herzustellen, die nicht nur praktisch sind, sondern auch ins Auge stechen. Leider wird bis zum Ende des Romans nicht deutlich, warum Lila verschwunden ist. Konnte sie das eintönige Leben in ihrem Dorf nicht ertragen? Das Anpassen und die Unterdrückung? Die Zeit scheint stehengeblieben zu sein und für Frauen ist definitiv keine Weiterentwicklung möglich. Das Recht auf Bildung wird komplett ausgeklammert. Die 50er / 60er Jahre sind sehr gut beschrieben und mich fasziniert, wie krass die Unterschiede zum "Heute" sind. In unserer Gesellschaft ist das Recht auf Bildung gerade bei uns Frauen kein Thema mehr, welches diskutiert oder durchgeboxt werden muss, denn es wird allen Frauen / Mädchen zuteil.

In einigen Stunden Lesegenuss bekam ich rasch ein genaues Bild über die Eintönigkeit in Lilas Leben. Sie ist aufsässig und ohne Furcht. Sie geht ihren Weg der gepflastert ist durch Lieblosigkeit und Gewalt. Ein Leben in einer Welt, in der Frauen wenig zu sagen haben und dem folgen, was das Familienoberhaupt bestimmt. Selten tritt Lilas Mutter für sie ein. Ich kann die innere Rebellion deutlich spüren und es Lila auch nicht verdenken eigene Ziele und Wünsche zu entwickeln. Ich vermute darin ihre Flucht, aber ich lasse mich auch gerne überraschen.

Die Story ist hochkarätig und konnte mich begeistern. Mein Interesse ließ manchmal ein klein wenig nach und ich schweifte ab, daher benötigte ich hin und wieder einige kleine Pausen, um mich wieder auf den Roman konzentrieren zu können. Da es sich hier nur um einen Ausschnitt der Kindheit und frühen Jugend von Elena und Lila handelt passiert zwar schon sehr viel, verdeutlicht aber noch nicht, warum Lila auszubrechen droht aus dem ihr vorbestimmten Leben an der Seite eines Mannes, der ihr ein bequemes Leben bieten kann. Wird ihr das nicht genügen?

Gerne möchte ich eine Leseempfehlung aussprechen, obwohl die Story ein paar wenige Längen aufweisen konnte, ist es doch eine Lebensgeschichte, die der Zeit in der sie spielt angemessen ist. Mir fehlte mitunter die Lebensfreude der Italiener. Ich hatte ein ganz anderes Bild vor Augen, aber man darf auch nicht vergessen, dass es ein komplett anderes Zeitalter ist und und mit unserem "Heute" keinesfalls vergleichbar ist. Aus dieser Sicht betrachtet bietet "Meine geniale Freundin" wenig Freude oder Schönheit. Geboten bekam ich Unzufriedenheit, Alkoholmissbrauch, Gewalt und Unterdrückung von Frauen. Interessant auf der einen Seite, abstoßend auf der anderen Seite. Trotz allem Unmut meinerseits sehr authentisch geschrieben und interessant in ein anderes Zeitgeschehen einzutauchen. Herausragend ist, dass es irgendwann gelingt die vielen Personen auseinanderzuhalten und den jeweiligen Situationen anzupassen.


★★★★