Ziemlich beste Freundinnen

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Wohl kaum ein Titel wurde schon vor Erscheinen so gehypt wie der vorliegende Titel Meine geniale Freundin der Italienerin Elena Ferrante (übertragen ins Deutsche von Karin Krieger). Der Suhrkamp-Verlag legte es seinen Mitarbeitern ans Herz, hunderte Rezensionsexemplare wurden unters Volk gebracht und zuletzt widmete sich Das literarische Quartett ebenfalls dem Titel. Was ist dran am #FerranteFever und dem Wind, der um das Buch gemacht wird?

Meine geniale Freundin ist der Auftaktband einer Tetralogie, in deren Mittelpunkt die Ich-Erzählerin Lenù und Lila stehen, beste Freundinnen seit Kindesbeinen an. Das Buch behandelt den Ursprung der Freundschaft zwischen den beiden italienischen Kindern, die in einem dampfigen und gewaltgeschwängerten Neapel der 50er Jahre ihren Anfang nimmt. Die beiden Mädchen wachsen miteinander auf und schweben permanent zwischen Freundschaft und Rivalität, die vor allem zunächst in der Schule zutage tritt. Lila erweist sich als blitzgescheit, hat sich selber lesen und rechnen beigebracht und avanciert zum unangefochtenen Klassenprimus. Dies ficht natürlich auch die junge Lenù an, die mit ihrer Freundin konkurriert und so auch zu schulischen Ehren gelangt. Da Bildung im ländlichen Süden in den 50er nicht den Stellenwert von klassischer Handwerksarbeit und Hausarbeit hat, müssen Lila und Lenù kämpfen, um weiter eine schulische Laufbahn verfolgen zu dürfen.

Der Wettstreit, der Kampf um Bildung, das permanente (konkurrierende Streben) nach Erfahrungen und Anerkennung, dies kennzeichnet den Auftaktband der Neapolitanischen Saga von Elena Ferrante. Sie seziert die Freundschaft der beiden Frauen und schildert die mannigfaltigen Dynamiken, die sich zwischen Lila und Lenù ergeben. Ein Signum ist hier auch die Atmosphäre, in der die beiden Mädchen aufwachsen, die einem Dampfkochtopf ähnelt. Die meisten Charaktere stehen beständig unter Druck oder reagieren impulsiv und gewalttätig. Dies alles ist der italienischen Schriftstellerin gut gelungen und verspricht mit dem kleinen Cliffhanger am Ende auch Potential für die weiteren Bände.

Elene Ferrante ist ein Mythos, der schon fast das literarische Schaffen der Schriftstellerin überstrahlt. Zur Genese dieses Mythos hat der Blogger Stefan Mesch hier einen interessanten Artikel veröffentlicht, der sich mit der Geschichte um Spekulationen und mögliche Personen hinter dem Namen auseinandersetzt. Bis heute weiß man nicht, wer die Romane verfasst, die von Italien ausgehend ihre Verbreitung in alle Regionen dieser Erde angetreten haben. Dieser Nimbus der Rätselhaftigkeit trägt sicher sein Scherflein zum Erfolg dieses Neapel-Quartetts bei, denn ohne dieses #FerranteFever und die munter blühenden Spekulationen wäre dieses Buch auch nur ein durchaus gutes unter vielen Italien- und Entwicklungsromanen

Meine geniale Freundin ist nicht der literarische Weitwurf, das Buch des 21. Jahrhundert oder die Neuentdeckung, auf die die Welt gewartet hat. Denn von Weltliteratur erwarte ich einfach mehr, als mir (zumindest dieses erste) Buch bieten kann. Die Erzählweise war mir hier noch etwas zu brav und zu gemächlich, auch wenn die Figuren gut entwickelt werden. Elene Ferrante hat ein Gespür für Atmosphäre und ruhige Schilderungen und kann ihre Szenen im Buch durchaus überzeugend schildern. Aber auf den letzten, euphorisierenden Funken habe ich noch gewartet. Vielleicht entzündet sich dieser ja dann im Januar 2017 erschienenen Folgeband Die Geschichte eines neuen Namens.