Bewegende Familiengeschichte
Wow, was für eine Familiengeschichte! Immer wenn ich die Romane bekannter Autoren lese, in denen diese über ihre Familie schreiben, staune ich, was für einen geradezu abenteuerlichen Background sie meistens haben. So ist es mir auch jetzt wieder mit dem vorliegenden Buch von Bettina Flitner ergangen. Diese ist Fotografin und langjährige Lebensgefährtin/Ehefrau von Alice Schwarzer. Doch darum geht es hier gar nicht, wird nur in ein, zwei kurzen Sätzen ganz am Ende überhaupt andeutungsweise angeschnitten. Vielmehr verarbeitet sie vorrangig die Geschichte ihrer Mutter und der mütterlichen Linie, nachrangig auch die Linien der eingeheirateten Männer. Die weit verzweigte, gebildete und gut situierte Familie hat ihre Wurzeln in Schlesien im heutigen Polen vor über 100 Jahren und gelangte in den Nachkriegswirren nach Westdeutschland. Allein schon der historische Hintergrund und die Beschreibung des Lebens einer Arztfamilie in den seinerzeit zum Deutschen Reich gehörenden Gebieten sind interessant. Was die Geschichte darüber hinaus so besonders macht, ist der Umstand, dass es in der Familie zahlreiche Suizide gab, beginnend mit dem der Urgroßeltern in der alten Heimat und nach weiteren dann auch den der eigenen Mutter im Jahr 1984, dem vermutlich tiefe Depressionen von Kindheit an zugrunde lagen. Ihn verarbeitet die Autorin sehr berührend, so dass es ihr schließlich auch wieder gelingt, in Liebe auf die Mutter zurückzublicken, nachdem ihr Verhältnis in vielen Jahren zwischen Kindheit und jungem Erwachsenenleben ohne große Bindung war. Schön ist, dass trotz aller Ernsthaftigkeit des Themas auch der Humor nicht zu kurz kommt. Ein Beispiel hierfür ist etwa, wie die Autorin von einer (vermutlich entwicklungsgestörten) Großtante spricht – sie habe einen Sprung in der Schüssel. Bemerkenswert finde ich, wie modern die gesamte Familie in Liebesdingen war. Geliebte waren während des gesamten Zeitraumes an der Tagesordnung.
Ein sehr empfehlenswertes Buch.
Ein sehr empfehlenswertes Buch.