Ein fesselndes und zutiefst ehrliches Porträt einer Familiengeschichte

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josephine5 Avatar

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Bettina Flitners Roman "Meine Mutter" ist ein eindringliches, literarisches Werk, das auf kluge und berührende Weise die Beziehung zwischen Mutter und Tochter beleuchtet. Die Autorin verarbeitet in diesem autobiografischen Buch den Suizid ihrer Mutter und die distanzierte Beziehung, die sie zu ihr hatte. Was dabei entsteht, ist ein vielschichtiges Erzählgeflecht, das den Leser von der ersten Seite an fesselt.

Das Buch beginnt mit der Beerdigung der Mutter und der Erkenntnis, dass sich seit 40 Jahren Fragen angestaut haben. Bettina Flitner begibt sich auf eine Reise an den Geburtsort ihrer Mutter in Niederschlesien, heute Polen, um mehr über die Familiengeschichte zu erfahren. Mit Tagebüchern und Notizen im Gepäck taucht sie in die Geschichte ihrer Vorfahren ein, die von der Zeit des Nationalsozialismus und der Vertreibung geprägt war. Sie entdeckt ein Sanatorium, das von ihrem Urgroßvater gegründet wurde, und mietet sich dort ein. Die düstere, herbstliche Stimmung des heruntergekommenen Ortes wird sehr gut beschrieben und spiegelt die Schwere der Familiengeschichte wider.

Flitners Schreibstil ist präzise und klar. Sie schafft es, die Tragik der Suizide in ihrer Familie sachlich zu behandeln, ohne sie zu beschönigen. Stattdessen beleuchtet sie die schwierigen Themen feinfühlig, aber auch analytisch, teils mit einer Prise Ironie. Durch diese ehrliche und offene Erzählweise wird die Geschichte nicht nur bewegend, sondern auch nachvollziehbar. Die Autorin schafft es, die emotionale Distanz zu ihrer Mutter zu überwinden und eine nachträgliche Versöhnung zu finden.

Das Buch ist ein fesselnder Familienroman, der den Leser noch lange nach der Lektüre beschäftigt. Es wirft zentrale Fragen nach Identität, Erinnerung und Herkunft auf. Zudem ist es ein leises, aber kraftvolles Plädoyer, sich zu erinnern und jene Leben sichtbar zu machen, die oft im Verborgenen bleiben.