Wider die Sprachlosigkeit

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
eschlbachia Avatar

Von

Bettina Flitner gelingt es in "Meine Mutter", biografisches Erinnern mit literarischer Kraft zu verknüpfen. Ausgangspunkt ist ihre Rückkehr nach Celle, wo ihre Mutter begraben liegt – ein Ort, der unvermittelt alte Fragen aufbrechen lässt: Wer war diese Mutter wirklich? Was hat sie geprägt, gebrochen, still gemacht? Auf der Suche nach Antworten stößt Flitner in den Tagebüchern, Briefen und Erinnerungen ihrer Familie auf eine Geschichte, die weit zurückreicht: in das niederschlesische Wölfelsgrund, in das einstige Familien-Sanatorium, in eine Welt, die durch Krieg, Flucht und Verlust unwiederbringlich zerstört wurde.

Das Buch überzeugt durch die Verbindung von Zeitgeschichte, Familienchronik und persönlicher Spurensuche. Flitner schreibt präzise und zugleich empathisch, ohne ihre Mutter zu verklären, aber auch ohne Anklage. Es entsteht ein Bild einer Frau, eines Familienschicksals, das stellvertretend für viele andere deutsche Lebensläufe des 20. Jahrhunderts steht.

Für mich liest sich "Meine Mutter" wie ein langer, intensiver Blick zurück, der nicht in der Vergangenheit steckenbleibt, sondern Gegenwart schafft. Bettina Flitner zeigt, wie sehr die Erfahrungen von Krieg, Flucht und Schweigen über Generationen hinweg wirken. Gleichzeitig macht das Buch Mut, sich der eigenen Familiengeschichte zu stellen – auch dort, wo Schmerz, Verlust oder Sprachlosigkeit herrschen.