"Micione, der Schwanz!"

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"Das ist der Tod, abgesehen davon natürlich, dass der Verstorbene nicht mehr da ist: das Leben mit all seinen Erinnerungen." Daria Bignardis erster Roman "Meine sehr italienische Familie" handelt vom Tod ihrer Eltern in genau diesem Sinne.

Das Buch erschien in der Originalausgabe 2009 unter dem Titel "Non vi lascerò orfani" (etwa: "Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen") bei Mondadori und 2010 als gebundene Ausgabe im List Verlag. Nach dem Tod ihrer Mutter verfasste Daria Bignardi, angeregt durch den Herausgeber einer Wochenzeitschrift, einen Artikel über die Trauer erwachsener Kinder, die ihre Eltern verlieren, der auch den oben zitierten Satz beinhaltete. Leserzuschriften ermutigten sie dazu, ein Buch zu schreiben, sodass der Zeitungsartikel zum ersten Kapitel des Buches wurde.

Die Autorin schildert zunächst, wie sie den Tod ihrer Mutter erlebte und wie sie 24 Jahre zuvor bereits ihren Vater verloren hatte. Sie stellt fest, wie sich die Trauer eines Menschens mit den Jahren verändert und erinnert sich an viele kleine Episoden aus ihrer Kindheit und den vergangenen Jahren, an Familienlegenden und ihre zahlreiche Verwandtschaft. Als roter Faden ziehen sich der Familie eigene Redewendungen und Aussprüche durch das Buch, die einen intimen Einblick gewähren, aber auch den Text auflockern ("Schaffst du dir junge Hüpfer an, bist auch du mit Hüpfen dran.") und die meist nur oberflächlich gestreiften verschiedenen Persönlichkeiten für einen Moment lebendig werden lassen. Während die enge Familie samt Kater Micione dem Leser schnell vertraut wird, werden die entfernten Verwandten nur kurz erwähnt, sodass sich ihre Namen nicht einprägen. Die wenigen Wiederholungen bei den Erzählungen passen insofern zum Buch, als dass das Gefühl entsteht, dass man kein fertiges Buch liest, sondern ein impulsiv niedergeschriebenes, welches einer privaten Erzählung gleicht.

Für Deutsche geradezu erfrischend ist der lapidare Umgang mit den politischen Gesinnungen der erwähnten Personen. Einige waren Monarchisten oder Faschisten, andere Republikaner oder gar Kommunisten, aber darum geht es in dem Buch nicht, sodass es bei der Erwähnung und dem gelegentlichen Aufzeigen von Widersprüchen bei der persönlichen Einstellung bleibt. Das Buch ist keine ernste Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte, oder der Vergangenheit, sondern lediglich eine Komposition von persönlichen Erinnerungen anlässlich eines schmerzlichen Ereignisses.

Etwas seltsam mutet für den nicht-italienischen Leser die Auflistung von Fiat Modellen an, die die Familie im Laufe der Zeit benutzte. Vielleicht sind sie eine Umschreibung für das Jahrzehnt, in der die aktuelle Anekdote stattfindet. Viele der "berühmten" Personen sind mir ebenfalls unbekannt, was sicherlich daran liegt, dass sie lokale Berühmtheiten aus einer anderen Zeit sind.

Das mit knapp 200 Seiten recht kurze Buch liest sich trotz des eigentlichen Themas sehr leicht und unbeschwert, da oft ein lachendes Auge der Autorin neben dem weinenden bemerkbar ist. Vielleicht hätte es dem Buch noch gutgetan, wenn Bignardi das Buch nochmal überarbeitet hätte, aber es ist genausogut möglich, dass der persönliche Charakter des Buches dann verloren gegangen und der Text etwas dröge geworden wäre (gerade bei den ganzen entfernten Verwandten). So wirkt das Buch spontan und dadurch gelungen.