Spannend mit kleinen Ungereimtheiten

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rebekka Avatar

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Die wichtigste Feststellung in diesem Buch trifft gleich zu Beginn eine Neurologin: „Sie müssen sich eins merken: Erinnerungen sind extrem unzuverlässig… Wenn man nicht sofort nach einem Ereignis ein Gedächtnisprotokoll macht, kann man sich nicht mehr auf das verlassen, was einem die eigene vermeintliche Erinnerung vorspielt“. Erfahrene Polizisten bauen einen Fall deshalb auch nicht ausschließlich auf Zeugenaussagen auf, weil sie wissen, dass sich Zeugen irren können.

Aber zwischen unzuverlässigen und total falschen Erinnerungen ist noch mal ein Unterschied. Kann man vergessen, dass man einen Führerschein hat und Auto fahren kann? Können detaillierte Erinnerungen an die eigene Abiturprüfung komplett aus der Luft gegriffen sein? Harriet, der Protagonistin dieses spannenden Romans, passiert genau das. Gemeinsam mit ihren Leserinnen und Lesern spürt sie in einer Art Schnitzeljagd der Frage nach, warum ihr Gedächtnis ihr Dinge vorgaukelt, die nie geschehen sind – und andere Ereignisse total ausblendet.

Geübten Thrillerfreunden fallen dazu natürlich ungezählte Szenarien ein wie etwa dubiose Regierungsstellen, die in den Köpfen von Menschen herumpfuschen um aus ihnen Kampfmaschinen machen. Zoe Beck wählt keine dieser Möglichkeiten. Ihre Idee ist eine andere, und bis die offenbart wird, folgen wir atemlos Harriets spannender Suche nach dem Unerklärlichen.

Getrübt wird der Lesegenuss allerdings durch allerlei Ungereimtheiten. Warum hat Harriets Mutter, die alles für das Wohlergehen ihrer Tochter tat, nicht auch für deren finanzielle Sicherheit gesorgt? Warum steht das Heim der Familie seit Jahren leer und ungenutzt, während Harriet in einer Art Obdachlosenasyl leben muss? Wenn sie gar nicht mehr weiter weiß, greift die Autorin gerne auch mal zum Holzhammer und bringt die Story mit „Kommissar Zufall“ voran – Stichwort Begegnungen mit Vater Kovacs und später seinem Sohn Gustav. Völlig überflüssig sind die Passagen zum Klimawandel, der in der Geschichte keine Rolle spielt und wohl nur dem Zeitgeist geschuldet ist.

Dennoch: der Roman ist spannend, ungewöhnlich und lesenswert. Deshalb gebe ich ihm vier Sterne.