Mehr als nur ein Zeitdokument.

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Der Titel von Ulrich Alexander Boschwitz' wiederentdeckten Roman trifft die Stimmung der geschilderten Figuren haargenau: Es sind "Menschen neben dem Leben". In Zeiten der Wirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre begibt sich der Autor in das Milieu der Bettler und Prostituierten Berlins. Der zeitgenössische Blick auf diese späte Zeit der Weimarer Republik findet sich nicht so häufig in der Literatur und verdankt sich hier der Tatsache, dass Boschwitz den Text wenige Jahre später im schwedischen Exil erstmals veröffentlichen konnte. Somit ist er ein beachtenswerter Ausdruck der Neuen Sachlichkeit, der in Deutschland selbst schon einige Zeit nicht mehr bedient werden konnte. Dennoch ist es nicht ein reines Zeitdokument, keine reine Gesellschaftsstudie. Die Handlung steuert auf die Katastrophe einer gewalttätigen Auseinandersetzung in einer Eckkneipe zu. Hier werden verschiedene Handlungsfäden und unterschiedliche Biografien, die alle ihren Knick bekommen haben, geschickt zusammengeführt. Die Erzählerperspektive springt jedoch immer mal wieder in die Schichten nicht ganz unten und somit wird der Leser - auch heute noch - durchaus dazu gebracht, die eigene Sichtweise auf die Ränder der Gesellschaft zu reflektieren. Erschreckend prophetisch sind die Momente, in denen Boschwitz seine Ahnungen von zukünftigen Vernichtungskriegen bis hin zu einem Feuerbrand, der dem Atomschlag ähnelt, aufblitzen lässt und in die Handlung einbaut. An ein paar Stellen - gerade in der Schilderung der Kneipe mit ihrer Außenstelle eines sogenannten Ringvereins - dominiert ein wenig zu sehr die Motivik der Bettlerromantik und erst durch die drastische Schilderung des Endes wird man dafür entschädigt. Die Wiederentdeckung und deutsche Erstveröffentlichung durch Peter Graf, der im Nachwort zudem eine kluge literarische Einordnung vornimmt, ist auf jeden Fall richtig und wichtig!