Agnetas zweite Reise

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Saint Carelle. Agneta hat sich entschlossen, ihr Leben von Schweden nach Frankreich zu verlegen. Sie wohnt nun mit Einar in einem Kloster. Der 80-jährige hatte im Vorgängerband „Bonjour Agneta“ eine Anzeige in einer schwedischen Zeitung aufgegeben, die Agneta den nötigen Anstoß zur Veränderung gab. Seitdem pflegt sie den Demenzkranken, der ihre schwedischen Sprachkenntnisse für den Kontakt zu seinem Sohn benötigt. Agneta fühlt sich in dem provenzalischen Dorf so wohl, dass sie am liebsten immer dort leben möchte. Aber als Einar stirbt, hat sie keine Möglichkeit mehr, dort zu bleiben und kehrt zurück nach Schweden. Sie verlässt ihre Freunde und vor allem Fabien, bei dem sie sich nun endlich als Frau fühlt. Allerdings ist auch in Schweden das Leben weitergegangen.

Emma Hamberg setzt mit Merci Agneta die Geschichte um ihre schwedische Protagonistin fort. Agneta war im ersten Band aus ihrem eintönigen Leben ausgebrochen, um die Aufgabe der Pflege des demenzkranken Einar zu übernehmen. Die 50-jährige ist mit Magnus verheiratet und hat zwei Kinder, die selbst eigene Wege gehen. Der schwedische Pragmatismus, die Erwartungen von ihrem Umfeld und die zunehmende Eintönigkeit in ihrer Ehe hat sie zu dieser Flucht veranlasst. Das französische Savoir-vivre ist für sie wie eine Erlösung, auch wenn sie der Sprache kaum mächtig ist. Es wird viel gelacht und getanzt. Das Leben fühlt sich um ein Vielfaches leichter an als in Schweden. Kein Wunder, dass Agneta keinen Gedanken an Rückkehr verschwendet. Einar vermittelt ihr in den lichten Augenblicken so viel Lebensweisheit, die Agnetas Blick auf die Welt erweitert. Als Leserin empfand ich die Beschreibungen der beiden Mentalitäten wunderbar, allerdings habe ich mich auch gefragt, warum man nach einem halben Jahrhundert in der Heimat keine festen Bindungen hat, die man vermisst.

Die Kehrseite der Sehnsucht
Der Handlungsverlauf ist in diesem Band nicht so stringent wie in Bonjour Agneta. Anfangs erfährt man, wie sich Agneta eingelebt hat. Sie fühlt sich frei und probiert Neues. Das ändert sich alles, als Einar stirbt. Plötzlich fühlt man mit ihr, wie ihr der Teppich unter den Füßen weggerissen wird. Die Kommune möchte das Kloster wieder für sich nutzen und fordert zudem eine immens hohe Stromrechnung. Hamberg spielt – ein wenig zu ausführlich – mit den Lösungsmodellen. Immer wieder werden Ideen ins Spiel gebracht, die durchaus plausibel klingen, dann aber aufgegeben werden müssen. Agneta trauert um ihren Freund und akzeptiert irgendwann, dass es für sie nur in Schweden ein Leben geben wird. Die Geschichte liest sich nahezu in Echtzeit, sodass man als Leser Zeit hat, den kreiselnden Emotionen nachzufühlen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man aus jedem längeren Auslandsaufenthalt auch immer ein Stück Veränderung mitbringt, dass sich nicht nahtlos ins ehemalige Umfeld einpassen lässt. Von daher ist Agneta eine authentische Figur, die die Kehrseite einer Sehnsucht beleuchtet. Meiner Meinung nach kann man den Roman auch ohne Kenntnis des ersten Bandes verstehen, muss sich dann aber die Beziehungsstrukturen aus den teilweise fremdsprachigen Informationen herleiten.

In Merci Agneta erzählt Emma Hamberg mit viel Herz, Wärme und Humor vom zweiten Aufbruch einer Frau, die sich eigentlich gerade erst gefunden hatte. Der Abschied von Saint Carelle ist nicht nur ein geografischer, sondern auch ein emotionaler. Agneta lernt, dass jede Veränderung auch Schmerz mit sich bringt – aber ebenso neue Wege eröffnen kann. Der Roman überzeugt durch feine Beobachtungen, lebenskluge Figuren und einen stimmungsvollen Schauplatz. Eine bewegende Geschichte über Selbstbestimmung, Abschied und die Frage, wo man eigentlich hingehört.