Herzerwärmender, humorvoller Roman mit liebevoll ausgearbeiteten Figuren

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*Spoilerfreie Rezension!*

~"Miss Gladys und ihr Astronaut" von David M. Barnett ist ein solider, herzerwärmender, humorvoller Roman, der vor allem mit seinem angenehmen Schreibstil und mit den liebevoll ausgearbeiteten Figuren punktet. Lediglich an manchen Stellen war mir der Humor zu flapsig und traf nicht ganz meinen Geschmack. Von Gladys und dem Alltag des Astronauten hätte ich zudem gerne mehr gelesen. Beim Lesen kommt richtige Weltraumstimmung auf (Musik-Tipp: Space Oddity von David Bowie und das Astronauten-Cover), und wenn man sich vollkommen auf die nicht immer ganz realistische Geschichte einlässt, wird man mit einem sehr kurzweiligen, angenehmen, durchaus tiefgründigen Leseerlebnis belohnt. ~

Inhalt

Zuerst will niemand es Gladys glauben, hat die alte Dame, die schon auf die 71 zugeht, doch beginnende Demenz: Sie behauptet, sie habe mit dem wohl weltweit bekanntesten Astronauten gesprochen – mit Thomas Major. Der mürrische Mann, der als erster Mensch den Mars besiedeln wird und sich in erster Linie in den Weltraum schießen ließ, um von der Welt und ihren grässlichen Bewohnern fortzukommen, hat sich eigentlich nur verwählt. Bald wird jedoch klar, dass Gladys und ihre Familie in großen Schwierigkeiten stecken. Vielleicht ist ein Astronaut ja genau das, was sie in ihrer verzwickten Lage noch retten kann…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: Einzelband
Erzählweise: Figuraler Erzähler, Präsens
Perspektive: aus verschiedenen Perspektiven (männlich und weiblich)
Kapitellänge: kurz bis mittel
Tiere im Buch: - Es wird eine Kuh überfahren und der Vorfall als lustig dargestellt. Auch von genmanipulierten Tieren (hierbei werden auch Züchtungen angedeutet, die als tierquälerisch einzustufen sind) wird berichtet.

Warum dieses Buch?

Ich habe vor dem Lesen so viel Gutes über dieses Buch gehört, und der Klappentext versprach eine ganz und gar ungewöhnliche, interessante Geschichte. Da konnte ich natürlich wieder nicht wiederstehen! Das ungewöhnliche, kreative Cover verstärkte meinen Wunsch, das Buch zu lesen, nur noch zusätzlich.

Meine Meinung

Einstieg (+)

Ich habe das Buch parallel als Buch und Hörbuch gelesen/gehört, weswegen ich hier auch auf den Aspekt des Sprechers näher eingehen werde. Begonnen habe ich mit dem Hörbuch, und ich hatte überhaupt keine Probleme, in die Geschichte zu finden. Der Sprecher, der sich so viel Mühe gegeben hat (dazu später mehr), hat mir den Einstieg sehr angenehm gemacht. Sofort wollte ich wissen, wie es mit der chaotischen Familie um Gladys und mit dem mürrischen Astronauten weitergeht.

Inhalt, Themen & Botschaften (+)

David M. Barnett erzählt in „Miss Gladys und ihr Astronaut“ eine ungewöhnliche Geschichte, auf die man sich voll und ganz einlassen sollte. Wenn man ausblendet, dass sich die Story um Tom Major nicht immer ganz nahe an der Realität bewegt, wird man dieses kurzweilige, herzerwärmende Buch mit Sicherheit genießen können. Und dieser Roman eignet sich tatsächlich perfekt als Auszeit vom Alltagsstress: Beim Lesen oder Hören konnte ich vollkommen abschalten. Nur allzu gerne begleitet man Ellie, James und Gladys bei ihren Alltagsproblemen, und nur zu gerne lässt man sich von Thomas Major mit in seinen „Schuppen“ im All nehmen.

Beim Lesen kommt tatsächlich (bei all den Anspielungen auf David Bowie kein Wunder!) intensive Weltraumstimmung auf. Solltet ihr beim Lesen das plötzliche Bedürfnis verspüren, euch sämtliche „Space Oddity“-Cover anzuhören und Informationsvideos über das Leben im All anzusehen – ich kann euch beruhigen, das ist ganz normal! Besonders ans Herz legen möchte ich euch jenes Cover, das vom kanadischen Astronauten Chris Hadfield auf der Raumstation ISS aufgenommen wurde. Eines kann ich prophezeien: Nach dem Lesen werdet ihr die Macht der Schwerkraft gleich viel stärker wahrnehmen, und ein vages Fernweh wird euch im Herzen schmerzen. Dieser kleine Schmerz, liebe LeserInnen, ist die Sehnsucht nach Schwerelosigkeit, nach Durch-die-Luft-Schweben, nach einer Reise ins All.

Trotz der Leichtigkeit und der kuriosen Situationen und Wendungen, die die Geschichte durchziehen, gibt es immer wieder auch ernste, sogar traurige Momente, die nachdenklich machen. So gelingt es dem Autor, der Geschichte, die viele verschiedene Themen wie Schuld, Demenz, Alter, Fehler, verpasste Chancen, Trauer, Hoffnung, Mobbing, Familie und Zusammenhalt behandelt, durchaus zwischendurch auch Tiefe zu verleihen.

Schreibstil (+)

Der Schreibstil ist flüssig und sehr angenehm zu lesen. Dabei sind die Beschreibungen sehr anschaulich und machen es einfach, das Kopfkino anzuwerfen. Die Sätze bestehen hauptsächlich aus Satzgefügen, die Sprache ist also keinesfalls zu einfach oder gar plump. Im Gegenteil – meiner Meinung nach hat David M. Barnett für diese Geschichte die perfekte Sprache gewählt, denn dadurch ist dieser Roman herzerwärmend, witzig, traurig und hoch emotional!

Protagonistin & Figuren (+/-)

Die Figuren machen vielleicht die größte Stärke des Romans aus. Bis in die Nebenfiguren sind sie einmalig und liebevollst ausgearbeitet, jede Person hat ihre Stärken, Schwächen, Macken und ganz eigene (oft schmerzhafte) Vorgeschichte. Besonders glänzen können aber natürlich die Hauptfiguren. Sie sind dreidimensional und komplex und machen eine glaubwürdige Entwicklung durch. Zahlreiche Rückblenden erklären vor allem Toms Vergangenheit und machen es leichter, sein Verhalten zu verstehen. Diese Rückblenden haben mich zwar manchmal etwas aus dem Lesefluss gerissen, jedoch waren sie niemals belanglos oder langweilig, sondern gaben wichtige Hintergrundinformationen preis. Auch wenn die Charaktere sich nicht immer vollkommen sympathisch verhalten, werden ihre Handlungsmotive, Ängste und Sorgen deutlich und man kann gar nicht anders, als sie ins Herz zu schließen.

Besonders toll fand ich natürlich Gladys: Sowohl die ernsten, tragischen als auch die amüsanten Seiten ihrer Altersdemenz werden im Roman thematisiert, dabei wird die alte, teilweise recht naive Dame aber nie nur durch ihre Krankheit definiert: Im Gegenteil, sie hat eine starke Persönlichkeit und ihre ganz eigene Vorstellung davon, wie Probleme gelöst werden können. Eine tolle Figur! Einziger Wermutstropfen: Ich hätte mir gewünscht, noch mehr von Gladys und Major Toms Alltag zu lesen – hier wurde meiner Meinung nach Potential verschenkt.

Spannung & Atmosphäre (+)

Diesem Buch gelingt es hervorragend eine breite Palette von Gefühlen abzudecken: Die Geschichte lädt die Lesenden ein, mitzufühlen, mitzuhoffen und mitzuleiden und weckt Emotionen. Die Atmosphäre reicht von ernst, hoffnungslos, traurig und wütend über hoffnungsvoll, unbeschwert und glücklich bis hin zu amüsant. „Miss Gladys und ihr Astronaut“ ist stellenweise ein eher ruhiges Buch, das jedoch niemals langweilig wird. Immer wieder gibt es kleine, unerwartete Wendungen und natürlich will man wissen, wie die Geschichte schließlich für Ellie, James, Gladys und Major Tom ausgeht.

Humor (+/-)

Der Humor hat mir über weite Teile sehr gut gefallen. Mehrmals habe ich geschmunzelt oder sogar aufgelacht. An anderen Stellen jedoch wurde mein Humor jedoch leider gar nicht getroffen, hier waren mir die Witze zu flapsig und unangebracht.

Sprecher (♥)

Das Beste am Hörbuch war mit Sicherheit der hervorragende Sprecher, Simon Jäger. Er hat beim Lesen wirklich alles gegeben, viele Emotionen hineingelegt und mit seiner angenehmen Stimme souverän und talentiert durch die Geschichte geführt. Jede Figur erhält ihre eigene Stimme, besonders Gladys wurde wundervoll vertont! Das Buch wurde durch seine Sprechweise noch emotionaler, noch humorvoller, einfach insgesamt noch besser. Ich (als jemand, der schnell von fremden Stimmen genervt ist) werde den Sprecher im Hinterkopf behalten. Es wird mit Sicherheit nicht mein letztes Hörbuch von ihm bleiben.

Geschlechterrollen (+/-)

Hier bin ich zwiegespalten, da ich doch einige Kritikpunkte habe. Einerseits gibt es viele starke Frauenfiguren, die wissen, was sie wollen und das auch kommunizieren. Ellie ergreift zum Beispiel in Bezug auf Delil die Initiative, es gibt Frauen in Führungspositionen und generell selbstbewusste weibliche Figuren mit Vorbildwirkung. Andererseits gibt es teilweise auch unangebrachte Vergleiche, das alte Rollenverständnis, und das Wort „Schla***“ wird mehrfach benutzt, sowohl von Erwachsenen als auch von Kindern. Letzteres ist etwas, was ich ganz schlimm finde: dass schon so junge Menschen diese sexistischen Beschimpfungen verinnerlicht haben. Hier würde ich mir in Zukunft vom Autor mehr Sensibilität für dieses Thema wünschen, da Medien uns unbewusst stark beeinflussen können.

Mein Fazit

"Miss Gladys und ihr Astronaut" von David M. Barnett ist ein solider, herzerwärmender, humorvoller Roman, der vor allem mit seinem angenehmen Schreibstil und mit den liebevoll ausgearbeiteten Figuren punktet. Lediglich an manchen Stellen war mir der Humor zu flapsig und traf nicht ganz meinen Geschmack. Von Gladys und dem Alltag des Astronauten hätte ich zudem gerne mehr gelesen. Beim Lesen kommt richtige Weltraumstimmung auf (Musik-Tipp: Space Oddity von David Bowie und das Astronauten-Cover), und wenn man sich vollkommen auf die nicht immer ganz realistische Geschichte einlässt, wird man mit einem sehr kurzweiligen, angenehmen, durchaus tiefgründigen Leseerlebnis belohnt.

Empfehlung: Uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die dem Alltag einmal entfliehen möchten und Lust auf eine Reise ins Weltall haben.

Bewertung

Idee, Themen, Botschaft: 5 Sterne
Ausführung: 4 Sterne
Schreibstil: 4 Sterne
Protagonist/innen: 5 Sterne
Figuren: 4 Sterne
Atmosphäre: 4 Sterne
Spannung: 4 Sterne
Emotionale Involviertheit: 4,5 Sterne
Geschlechterrollen: +/-

Insgesamt:

❀❀❀❀ Lilien

Dieses Buch bekommt von mir 4 zufriedene Lilien!