Vielleicht so oder doch anders

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Drei Menschen, die sich in ihren Vierzigern in Leipzig kennenlernen – durch Zufall oder Schicksal sei dabei dahingestellt – stehen im Mittelpunkt des zweiten Romans von Janna Steenfatt. Jette, die noch nicht so lange in der Stadt lebt, in der vermutlich letzten Videothek überhaupt jobbt und eigentlich einen Roman schreiben möchte, trifft eines Abends auf Lukas und beginnt eine Affäre mit ihm, obwohl sie sich für Männer bisher gar nicht besonders interessiert hat. Lukas ist Künstler, stammt wie Jette ursprünglich aus Hamburg und ist, was für den weiteren Verlauf der Geschichte nicht ganz unwichtig ist, verheiratet und Vater zweier Kinder. Seine Frau Eva, seit ungefähr 20 Jahren an seiner Seite und in Leipzig geboren, fragt sich zunehmend, ob sie wirklich das Leben lebt, das sie sich einst erträumt hat - oder von dem sie vielleicht noch gar nicht richtig zu träumen gewagt hat. Als etwas passiert, das auch Eva und Jette aufeinandertreffen lässt, gerät so einiges ins Wanken. Doch was nach einem typischen Midlife-Crisis-und-dann-halt-mal-eine-Affäre-Roman klingt, entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einem überraschend klugen Buch über die Tücken von Beziehungen aller Art. Wir kommen allen drei Protagonist:innen nahe, lernen ihre familiären Hintergründe kennen und können durchaus verstehen, warum sie sich so verhalten wie sie es tun. Steenfatt hat einen liebevollen und oft humorvollen Blick auf die Figuren, sie wertet nicht und lässt jede*n Fehler machen. Es passiert mir nicht oft, dass ich Romanfiguren nach Beenden des Buches nicht gehen lassen möchte, aber hier hätte ich gern noch weiter Zeit mit ihnen verbracht. Und ich mochte das Ende, das eigentlich kein richtiges Ende ist, denn es lässt die ausgetretenen Pfade der Affärenliteratur hinter sich und wagt etwas Neues. Der Roman verhandelt aber nicht nur die Möglichkeiten der Liebe, sondern auch die Unterschiede zwischen Ost und West, die Diskrepanz zwischen einem alternativen Lebensentwurf und den harschen Realitäten des Familienlebens sowie die Frage, ob allein sein immer ein Problem sein muss. Ein sehr lesenswertes Buch, das ich noch besser als das Debüt der Autorin fand und das ich sehr empfehlen kann.