Hach!

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Sarah Lorenz: Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken

TW: Traumata, Selbstverletzung, Drogen, Suizid

„Warum sich mit Gedichten begnügen, wenn gleich das gesamte Leben poetisiert werden kann?“
Dieses Buch hat mich umgehauen! Es ist hart und traurig, gleichzeitig aber auch leicht und humorvoll. Sarah Lorenz schreibt direkt, ungeschönt und unglaublich ehrlich – genau das macht diesen Roman so besonders.
Elise, die Protagonistin, blickt auf ihr Leben zurück und ordnet es anhand der Menschen, die sie geliebt hat. Für sie sind es nicht Daten oder Ereignisse, sondern die Lieben ihres Lebens, die wie ein roter Faden durch ihre Erinnerungen führen. Die erste große Liebe? Der Junge mit den blauen Augen. Die Zweite? War einfach da – aber wirklich geliebt hat sie ihn nicht. Die Dritte? Eine ganz andere Geschichte. So reiht sie die Kapitel ihres Lebens aneinander. Viele dieser Kapitel beginnen mit Gedichten von Mascha Kaléko, die Elise aufgreift, um ihre eigene Geschichte zu erzählen. Und jetzt passt auf, das Besondere: Sie spricht Mascha Kaléko direkt an, als würde sie ihr alles persönlich berichten – mit dem sehnsüchtigen Wunsch, irgendwann mit ihr im Himmel einen Kaffee zu trinken. Was für eine schöne Idee!

Doch es geht hier um weit mehr als nur die Liebe. Elise reflektiert über das Schreiben selbst und das Buch greift tiefgehende Themen auf: die Rolle von Müttern und Vätern und die Erwartungen der Gesellschaft an sie, Freundschaft, Traumata, Selbstverletzung, Drogen, Verluste und Träume. Ganz nebenbei setzt es sich auch kritisch mit Kapitalismus, dem Patriarchat und den Ungerechtigkeiten im Gesundheitssystem auseinander.

Die Geschichte beginnt mit der 13-jährigen Elise, die einen Traum hat: Sie möchte heroinabhängig werden, wie ihr Idol Christiane F. Sie sieht sich als Punkerin auf der Kölner Domplatte, mit Springerstiefeln und Nietengürtel. Mit 14 haut sie von zu Hause ab und findet sich auf der Straße wieder – in einer Welt voller Härte, in der Männer sie nicht nur mit Blicken zerreißen.
Schon mit neun musste sie in ein großes, kaltes Haus, in dem es nicht mit rechten Dingen zuging. Später nimmt ihre Mutter sie wieder auf – aber die Liebe, die mal da war, ist verloren. Elise hält an ihrem Ziel fest: Drogensüchtige Punkerin werden.
Wir begleiten sie durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens: die ersten Drogen, die erste Liebe, den ersten Orgasmus, die erste eigene Wohnung. Wir leiden mit ihr – mit der zerbrochenen Beziehung zu ihrer Mutter und allem, was noch folgt. Wir fühlen ihre Angst und ihre Furchtlosigkeit, ihr Verlorensein und ihr Ankommen. Ja, es gibt auch Lichtblicke: die gefundene Liebe, der Ausbildungsplatz, die Wiederannäherung an den Vater – und vieles mehr. Wir begleiten Elise auf der Suche nach Geborgenheit, die sie oft nur in Büchern finden konnte. Sie träumt von kleinen Reetdachhäusern und einem Zuhause, das sich auch wie eines anfühlt.
Ich habe dieses Buch geliebt! Und ich freue mich riesig auf mehr von @buchischnubel! Lorenz’ Schreibstil hat mich direkt mitgerissen. Ich bin total verliebt in die Gedankenwelt der Protagonistin und ihre Art, die Welt zu sehen – sooo gut! Ahhh, und dann dieses geniale Wort: flitterig! Können wir das bitte direkt in unseren Wortschatz packen? „Ich bin ganz flitterig auf die Liebesgeschichten anderer Menschen. Ich weiß, ich weiß, das Wort existiert nicht. Doch gäbe es dieses Wort, so würde es bedeuten, neugierig und vorfreudig auf die Liebes- und Hochzeitsgeschichten anderer Leute zu sein.“ Großartig!
Es hat mich fasziniert, wie Elise Mascha Kaléko anspricht und ihr hartes Leben mit so viel Leichtigkeit und einer gehörigen Prise Witz erzählt. Sie tut genau das, was sie an Kalékos Gedichten liebt: „Du verbindest das Schwere, kaum zu Ertragende mit einem Witz und einer Leichtigkeit, die zunächst konträr erscheinen. Dabei sind sie das gar nicht, sie bilden das Leben ab und spenden Hoffnung.“ Hach!