Wo Literatur Heimat wird: Eine Hommage an Mascha Kaléko

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„Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ von Sarah Lorenz ist ein zarter Roman über das Überleben nach Gewalterfahrungen, über die Kraft der Sprache und die Suche nach Geborgenheit. Sarah Lorenz ist Autorin, Literaturwissenschaftlerin und Therapeutin. In ihrer Arbeit verbindet sie literarische und psychologische Perspektiven und setzt sich für mehr Sichtbarkeit weiblicher Stimmen ein. Mit ihren Romanen schafft sie Räume, in denen Schmerz und Hoffnung nebeneinander existieren dürfen.

Worum geht's genau?

Die Protagonistin erzählt anhand literarischer Ausschnitte aus dem Leben & Schaffen ihrer liebsten Dichterin Mascha Kaléko von und aus ihrem eigenen Leben. Sie berichtet von psychischen Krisen, von Erfahrungen emotionaler und körperlicher Gewalt, von ihrer Liebe zur Literatur und von der Suche nach einem selbstbestimmten Leben. Zentrale Themen sind der Umgang mit Angst, die Heilung nach Traumata, der bewusste Verzicht auf Alkohol sowie die Bedeutung von Sprache als Überlebensmittel. Trotz aller Schwere bewahrt der Roman eine leise Hoffnung und ein tiefes Vertrauen in menschliche Verbindung.

Meine Meinung

Sarah Lorenz hat mit „Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ ein Buch geschrieben, das unter die Haut geht. Und mich unerwartet getroffen hat, hab ich es doch eigentlich gar nicht auf dem Schirm gehabt und nur dank unseres Buchclubs gelesen - danke Resl für die tolle Auswahl <3! Das Buch ist trotz der schweren Themen leichtfüßig und man gleitet sanft durch die Seiten. Besonders eindrucksvoll war, wie die Autorin die Themen psychische Erkrankung und Pathologisierung behandelt: Immer wieder wird aufgezeigt, wie schnell besonders Frauen vorschnell psychiatrische Diagnosen erhalten und damit als "krank" abgestempelt werden, ohne dass ihr Leiden im gesellschaftlichen Kontext gesehen wird.

Sprache spielt eine zentrale Rolle: Sie wird zur Rettungsleine, zur Möglichkeit, sich selbst neu zu erschaffen. „Erst als ich die Worte dafür hatte, wurde ich frei.“ (S. 45) beschreibt sehr eindrücklich diesen Weg.

Auch die Darstellung emotionaler und körperlicher Gewalt ist präzise und ungeschönt, ohne ins Voyeuristische abzudriften. Lorenz zeigt, dass Gewalt oft subtil beginnt: „Es muss nicht immer ein Schlag sein, manchmal reicht ein Blick, der dir den Boden wegnimmt.“ (S. 89). Solche Momente sind es, die sich tief in die Psyche eingraben und schwer heilbare Wunden hinterlassen.

Die Entscheidung der Protagonistin, keinen Alkohol mehr zu trinken, wird ebenfalls stark thematisiert. Es geht nicht nur um Verzicht, sondern um den Wunsch, sich selbst wieder klar begegnen zu können. Lorenz schildert sehr glaubwürdig die gesellschaftliche Verharmlosung von Alkohol und den Mut, diesem Druck etwas Eigenes entgegenzusetzen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erfahrung von Angst und Selbstverletzung. Die Autorin beschreibt, wie schwer es ist, sich in einem verletzten Körper sicher zu fühlen – und wie mühsam der Weg zurück zu sich selbst sein kann. Besonders berührend sind die Stellen, an denen es um die Erfahrung von Geborgenheit geht – sei es in der Nähe eines geliebten Menschen oder in der Literatur.

Das Thema Tod und Sterben wird in dem Roman mit großer Sensibilität behandelt. Es geht nicht um religiöse Erlösung, sondern um einen tiefen inneren Frieden. Lorenz fragt danach, wie ein gutes Leben aussehen kann, wenn es so viel Schmerz gegeben hat – und findet poetische, aber nie kitschige Antworten darauf.

Die Liebe zur Literatur durchzieht das ganze Buch. Bücher bieten der Protagonistin einen Rückzugsort, eine Möglichkeit, die eigene Geschichte anders zu erzählen. Gleichzeitig kritisiert Lorenz die männliche Dominanz im Literaturkanon und setzt sich für eine größere Sichtbarkeit weiblicher Stimmen ein.

Nicht zuletzt berührt die Liebesgeschichte im Roman: eine leise, tiefe Beziehung, die nicht auf Idealisierung, sondern auf Respekt und echter Nähe basiert. Und schließlich der Brief an das eigene Ich – ein kraftvoller Abschluss, der Mut macht, sich selbst mit all seinen Narben liebevoll zu betrachten.

Fazit

„Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken“ ist ein poetisches und tief berührendes Buch mitten aus dem Leben - über Trauma, Heilung und die Kraft der Sprache. Sarah Lorenz gelingt es, große Themen mit feiner Sprache und großer Wärme zu erzählen. Für diese ehrliche Tiefe, die kluge Gesellschaftskritik und die leise Hoffnung vergebe ich 5 von 5 Sternen. Ein Jahreshighlight!