Ich hätte dieses Buch nicht gebraucht

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marieon Avatar

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Durch diese Vorurteile hegten wir bestimmte Erwartungshaltungen, die in unserem Gegenüber Irritation auslösten. Dadurch nähmen die anderen von uns Abstand, weil sie es uns kaum rechtmachen könnten. Daraufhin entstünde in uns die Überzeugung, dass wir uns nicht auf andere verlassen könnten. Die meisten Menschen nähmen die Welt als Haifischbecken war, in dem jeder sich selbst der nächste sei.

Dann erläutert der Autor Kapitellang die einzelnen psychologischen Richtungen wie Verhaltenstherapie und Tiefenpsychologie und die bekanntesten Experimente der wissenschaftlichen Sozialpsychologie, um seine These der soziokulturellen Prägung zu untermauern. Er führt an, dass Studienergebnisse gefälscht wurden, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen oder falsch interpretiert.

Ein kleiner Exkurs in die Abwehrmechanismen folgt, der veranschaulicht, zu welchen Verdrängungen wir neigen um unseren Selbstwert zu stabilisieren.

Sina Haghiri erklärt anhand evolutionsbiologischer Eigenschaften, warum negative Ereignisse sich um sovieles besser in uns festsetzen als positive.

Desweiteren macht er auf die Gefahr von andauernder Reizüberflutung aufmerksam, bei der das Gehirn vermehrt den Belohnungsbotenstoff Dopamin ausschüttet, wie es das alltägliche Bombardement an Nachrichten, SMS und soziale Netzwerke vermögen. Er rät uns, die Informationen so bewusst zu selektieren, wie die Nahrung, die wir unserem Körper zuführen. Slowfood statt Fastfood.

Zu guter Letzt zeigt Sina Haghiri, dass Nachsicht wenig damit zu tun hat Schwäche zu zeigen, als viel mehr, dem Gegenüber nachzusehen, dass er gerade nicht wusste, dass er einen Fehler machen wird. Wie gut wir uns damit tun, auch uns selbst gegenüber nachsichtiger zu sein.

Fazit: Ich mag die Intention von Sina Haghiri. Wieviel einfacher wäre unser gesellschaftliches Zusammensein, wenn wir nicht in jedem unseren Feind sehen würden, das ist aber auch schon alles. Ich denke, dass die Stärke der Nachsichtigkeit einen gesunden Selbstwert voraussetzt, den ich einer Vielzahl meiner Mitmenschen absprechen möchte. Solange unser gesamtes System aus Bestrafung, statt Belohnung besteht, strafende Eltern, strafende Lehrer, mobbende Mitschüler, strafende Religionen, strafendes Wirtschaftssystem, strafende Politiker und wer weiß, was Kinder noch alles verinnerlichen, wird sich an unserem gesellschaftlichen Miteinander kaum etwas ändern. Solange die Wertschätzung nicht jeden Einzelnen miteinbezieht und es stattdessen systemrelevante Berufsgruppen gibt, die einfach mehr wert zu sein scheinen, haben wir eine hausgemachte systemische Ungleicheit. Damit ist Nachsichtigkeit unser geringstes Problem und das Thema ad absurdum geführt. Ich hätte dieses Buch, das nicht leicht zu lesen war, nicht gebraucht.