Magisches Abenteuer mit fehlendem Tiefgang

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meike Avatar

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Emily ist genervt: von ihrer peinlichen, verrückten Mutter genauso wie von ihrem total langweiligen Vater. Doch als eines Nachts geheimnisvolle Post ankommt und kurz darauf ihre beiden Eltern aufbrechen und nicht mehr wiederkommen, macht Emily sich auf die Suche nach ihnen – und landet in einem unglaublichen Abenteuer, bei dem nichts weniger als die Zukunft der Welt auf dem Spiel steht.

„Die Mitternachtsstunde“ hat alles zu bieten, was es für ein magisches Fantasy-Abenteuer braucht: Eine geheimnisvolle Parallelwelt, viele mysteriöse Wesen und einen mächtigen, magischen Gegenstand, der das Schicksal der Welt besiegeln kann. Die magische Parallelwelt ist sehr anschaulich beschrieben und die Geschichte ist kurzweilig und gleichzeitig sehr lustig geschrieben. Außerdem werden mit der Grundproblematik wichtige Themen angesprochen: Wie kann man das Zusammenleben so gestalten, dass sich jeder gerecht behandelt fühlt? Und was schürt Vorurteile, so wie sie den „Tageslichtlern“ entgegengebracht werden? Wie sehr lässt man sich bei seinen Urteilen vom Auftreten und Aussehen des Gegenübers leiten? Auch die Gestaltung des Buches fällt sehr positiv auf – neben den fluoreszierenden Elementen auf dem Einband sind auch die Zeichnungen an den Kapitelanfängen ein netter Hingucker.

Trotzdem hat die Geschichte inhaltliche Schwächen: Emily ist ein sehr aufbrausender, vorlauter Charakter. Ihre große Klappe und forsche Art hilft ihr an so mancher Stelle zwar aus der Patsche und kann durchaus amüsant sein, zum Teil ist sie aber auch einfach respektlos und dadurch unsympathisch. Viele Charaktere wie Emilys Eltern bleiben sehr oberflächlich. Und auch wenn in Fantasy-Romanen viele Naturgesetze außer Kraft gesetzt sind, sollten die Geschichte doch eine innere Logik haben. Die hat mir an manchen Stellen leider etwas gefehlt und der Leser wurde mit dem Argument abgespeist, Magie sei manchmal einfach schwer verständlich. Ein Beispiel: Emily wundert sich, was während ihrer Verwandlung mit den Gegenständen passiert, die sie am Körper trug. Die Antwort ihres Onkels: „Am besten macht man sich keine großen Gedanken darüber.“ Generell wird viel angerissen, aber nicht weiter geklärt: Was hat es mit den Träumlingen oder den Hungrigen Toten auf sich? Und dem kleinen Igel, der Nokturne so aus der Fassung gebracht hat? Warum möchte Emilys Mutter die Welt retten, obwohl sie ein Unglückstier ist? Auch wenn der Epilog schon andeutet, dass die Geschichte weitergeht und im zweiten Band hier vermutlich noch ein paar Dinge aufgeklärt werden – für mich waren es einfach zu viele offene Fragen am Ende. Und zu guter Letzt war mir das Buch an manchen Stellen einfach zu brutal – ein Vampir, der von einem Pferd plattgetrampelt und einem Nashorn aufgespießt wird; ein Bär, den Treppenschacht herunterstürzt – das muss bei einem Kinderbuch ab 10 Jahren nicht sein.

Die Geschichte hat durchaus Potenzial und eine Fortsetzung ist wünschenswert. Auch die Grundidee und die magische Parallelwelt haben mir gut gefallen. Doch ich habe mehr erwartet, alles in allem hätte hier durchaus mehr aus der Geschichte herausgeholt werden können. Schade.