Bekannte Themen, solide erzählt

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mariehal Avatar

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Der Roman beleuchtet das Leben von Ben und Esther, Geschwistern, die tief in einer charismatischen Kirchengemeinde verwurzelt sind. Besonders gelungen fand ich den Perspektivwechsel zwischen den beiden Figuren. Durch den flüssigen Schreibstil konnte ich mich gut in ihre Gedanken und Gefühle hineinversetzen, obwohl ich persönlich keinerlei Erfahrung mit Kirche oder sektenähnlichen Strukturen habe. Gerade das hat es mir leicht gemacht, die inneren Konflikte nachzuvollziehen: Bens verzweifeltes Ringen mit seiner „Sünde“ und Esthers stilles Aufbegehren gegen das festgeschriebene Frauenbild.

Dennoch blieb bei mir ein zwiespältiger Eindruck zurück. Die Themen, die der Roman behandelt – Glaubenszwang, patriarchale Strukturen, Schuld und Scham –, sind ohne Frage brisant und gesellschaftlich relevant. Aber sie sind in Literatur und Reportagen schon vielfach aufgearbeitet worden. Leider hatte ich das Gefühl, dass dieser Roman keinen wirklich neuen Blickwinkel eröffnet oder etwas Überraschendes hinzufügt. Vieles wirkte für mich eher wie eine Nacherzählung bekannter Konflikte, sodass sich keine frische Perspektive ergab.

Auch fragte ich mich am Ende, was mir das Buch eigentlich vermitteln wollte. Es bleibt eine atmosphärische und durchaus emotional nachvollziehbare Geschichte, die die Zwänge religiöser Gemeinschaften spürbar macht. Aber eine klare Botschaft oder ein Aha-Moment, der über die Darstellung hinausgeht, habe ich nicht gefunden.

Alles in allem: solide geschrieben, mit glaubwürdigen Figuren und gelungenen Perspektivwechseln, aber inhaltlich etwas zu vertraut und ohne echten Mehrwert. Wer sich mit den Themen Glaube, Macht und Abhängigkeit im religiösen Umfeld bisher wenig beschäftigt hat, könnte hier einen Einstieg finden. Für erfahrenere Leser*innen wirkt es eher wie ein Déjà-vu.