Beklemmend gute Auseinander mit deutscher Freikirche

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jerichothoem Avatar

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"Monstergott" hat mir ausgesprochen gut gefallen. Ich bin sehr beeindruckt von dem authentischen Blick auf deutsche Freikirchen, den die Autorin hier bietet. Das Geschwisterpaar Esther und Ben bringt mit chronischer Erkrankung, der Rolle der Frau und Queerness Kernthemen in die Auseinandersetzung ein.

Der Titel provoziert und der Text fordert heraus, dennoch schafft die Autorin es nuanciert zu schreiben und ringt dabei immer wieder mit den Ebenen von Glaube, Gemeinde und Gott. Was heißt es Christ zu sein, was muss es heißen und wer hat diese Deutungshoheit? Aus vorderster Front der Gemeinde tun sich im Text langsam die Abgründe der beiden Geschwister auf. Für mich las sich der Beginn dabei beklemmender als das Ende. Denn insbesondere Bens Perspektive ist enthusiastisch christlich. Sein Glaube, und seine Gemeinde, sind sein Leben. Mich darauf einzulassen fiel mir nicht leicht. Aber für den Bogen der Erzählung ist es unerlässlich. Esthers Erzählstrang fiel mir leichter, ihr Ausstieg war ein kühlerer Prozess, bei ihr ging es mehr um den Unterschied zwischen Gott und Gemeinde.

Wir bekommen klare Einblicke in die Gedanken der Geschwister und insbesondere im letzten Drittel fand ich die Sicht der beiden aufeinander sehr spannend. Der Schreibstil ist überraschend emotional, obwohl immer wieder Beschreibungen dominieren. Insbesondere in der Schilderung von Konversionstherapie hält die Autorin eine schwierige Balance, genug Details um zu verstehen was da passiert, aber gerade die Leerstellen kommunizieren relevante Inhalte zu Scham und die Kombination führt zu einer sehr eigenen, um sich greifenden Stimmung im Buch.

Einen Umgang finden müssen wir als Lesende auch mit den Bibelzitaten und ausführlichen Predigten des Pastors. Erst nach und nach und eher subtil treten uns dabei die Perspektiven von Esther und Ben zur Seite. Esthers Diskussionen mit dem Pastor bringen Dynamiken auf den Punkt, ich bewundere, wie die Autorin das oft mit wenigen Worten schafft. Über den Aufbau und die Struktur Inhalt vermittelt, dass kann sie meisterhaft! Ich habe gern Stellen und Motive im Buch markiert.

"Monstergott" ist kein leichtes Buch - und je nach persönlicher Situation würde ich den Lesezeitpunkt abwägen. Es ist genauso ein brilliant geschriebenes, berührendes, starkes Werk zu einem wichtigen Thema. Ich bin sehr froh um die Lektüre.