Kampf zwischen Identität und Ideologie

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Das Buch ‚Monstergott‘ von Caroline Wahl ist erschienen im Ullstein Verlag und umfasst 270 Seiten.

Die Protagonisten sind Ben und Esther, ein Geschwisterpaar. Die beiden sind im jungen Erwachsenenalter, Ben arbeitet als Fluglotse, Esther ist Krankenschwester. Beide leben zusammen in einer WG und sind zuhause in einer christlichen Gemeinde. In der Gemeinde sind beide sehr eng eingebunden, nicht nur als Mitglieder, sondern auch als Mitarbeitende.

Im Verlauf des Buches erfahren wir, wie beide in ihren jeweils eigenen Bereichen ringen um einen Lebensstil, der einerseits ihre Bedürfnisse, Wünsche, Begabungen… ernstnimmt und andererseits den klaren Richtlinien und Maßstäben der Gemeinschaft gerecht wird.

Ben kämpft vor allem mit seiner Sexualität, die so, wie sie ihm entspricht, in der Gemeinde nicht geduldet wird. Er unternimmt viele Anläufe, um sich selbst zu ändern, sich unterzuordnen, den Vorgaben zu entsprechen.
Esther ringt vor allem mit dem Rollenbild, das sie als Frau in eine vorgegebene Position drängen möchte, ungeachtet der Vision, die sie für sich und ihr Leben hat.

Für beide sind es sehr existentielle Fragen und Auseinandersetzungen, denn sie sind in der Gemeinde groß geworden, sind dort sozialisiert, ihr ganzen Leben ist darauf ausgerichtet, ein Teil dieser Familie Gottes zu sein. Ein Infragestellen der Gemeinde, des Pastors, der Strukturen ist gleichzeitig ein Infragestellen von allem, was ihr Leben ausmacht.

Für mich als Lesende war es teilweise schwer auszuhalten, in die enge, dogmatische Denkweise hineingezogen zu werden. Ich habe selbst Erfahrungen in diesem Bereich gemacht und so sehr ich mir an vielen Stellen gewünscht hätte, dass das Erzählte nur Fiktion ist, musste ich mir doch eingestehen, dass es teilweise genau so läuft.

Mich hat das Buch und der Kampf der beiden jungen Menschen um Selbstbestimmung sehr berührt und ich habe bis zum Ende mit ihnen mitgefiebert. Der verzweifelte Kampf darum, das Richtige zu tun, dazuzugehören, ein Teil der Gruppe zu sein. Und immer wieder zu merken, dass es nicht immer möglich ist. Und schließlich auch zu hinterfragen, ob es wirklich wünschenswert ist, ob der Preis nicht zu hoch ist. Ich habe gehofft und gebangt, hätte ihnen an so mancher Stelle so gerne aus meiner Erfahrung einen kleinen Stubs in Richtung Freiheit gegeben.

Das Buch ist absolut empfehlenswert für Lesende, die sich mit den Gedanken und Strukturen solch enger Glaubensgemeinschaften kritisch auseinandersetzen möchten und interessiert sind an den Herausforderungen, denen sich Menschen stellen müssen, wenn sie versuchen, sich anzupassen oder wenn sie beginnen, diese Strukturen zu hinterfragen.