Herausfordernder Weg zweier Frauen in Montmartre

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*lucy* Avatar

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„Montmartre – Licht und Schatten“ ist der Auftakt zu Marie Lacrosses Montmartre-Dilogie. Zwei Frauen, die am gleichen Tag in Montmartre geboren sind, aber aus äußerst gegensätzlichen sozialen Schichten stammen, streben nach der Erfüllung ihrer Träume. Während dies für die aus einer wohlhabenden Familie stammende Valerie bedeutet, sich als Malerin einen Namen in der Kunstwelt zu machen, möchte Elise als Tänzerin berühmt werden und nicht mehr ständig von der Hand in den Mund leben müssen. Im Kampf für ihre Träume kommt es für beide Frauen zu ungeahnten Herausforderungen, auch in Sachen Liebe. Ob sie ihre Ziele trotz aller Hindernisse verfolgen können?
Das Cover ist hübsch gestaltet und zeigt in der Mitte das Bild einer eleganten jungen Frau an einem hübschen, historischen Café in Montmartre, dort wo die Bohème im 19. Jahrhundert ihren Anfang nahm.
Marie Lacrosse schildert sehr eindrücklich und meist ausgesprochen atmosphärisch dicht, wie sich das Leben im damals jüngsten Pariser Arrondissement (Butte-)Montmartre für die unterschiedlichen sozialen Schichten abgespielt haben könnte. Insbesondere die Herausforderungen, die sich hier für zielstrebige junge Frauen zum Ende des 19. Jahrhunderts ergeben, lassen sich absolut nachempfinden. Dass sie sich auf viele historische Quellen und Fakten stützt, kommt der Authentizität des Romans in hohem Maß zugute. Obwohl Marie Lacrosse einen sehr angenehmen Schreibstil beweist und der Roman sich größtenteils sehr flüssig und ausnehmend interessant lesen lässt, wirken einige Schilderungen in meinen Augen ein wenig langatmig. Zumal der Roman aufgrund seines Umfang und Gewichts auch weniger angenehm in der Hand liegt. Aber für ein gutes Buch – und das ist „Montmartre“ definitiv – nehme ich dies natürlich gern in Kauf.
Durch die hohe Authentizität ist auch das Spannungsniveau durchaus gehoben. Kaum glaubt man als Leser, dass nun endlich ein wenig Ruhe für eine der beiden Frauen eingekehrt, folgt oft prompt der nächste Schicksalsschlag. Der strahlende Glanz des Künstlerviertels verschleiert kaum die erschütternde Gnadenlosigkeit und Grausamkeit, der viele Bewohner Montmartres Tag für Tag ausgesetzt sind – allen voran weibliche.
Neben den beiden fiktionalen Protagonistinnen und ihren Familien sind auch eine große Anzahl historischer Personen im Roman vertreten. Die vielen historischen Fakten werden bei Ungereimtheiten oder Leerstellen in der Biographie dieser Personen mit Fiktion gefüllt, angepasst und um die Bekanntschaft mit den beiden Protagonistinnen bereichert. Die große Anzahl der Charaktere ist durchaus eine Herausforderung beim Lesen, sodass ich dankbar auf das Personenverzeichnis am Anfang des Romans zurückgegriffen habe.
Elise kommt unter ärmlichsten Bedingungen zur Welt, das Geld für das Allernötigste wird vom Vater versoffen und nur durch die Unterstützung ihrer Ziehoma Marianne und Vernunft und Pflichtbewusstheit ihrer Mutter können Elise und ihre ein Jahr jüngere Schwester Simone überhaupt überleben. Schon als Kind muss sie hart arbeiten, um etwas zu essen im Bauch und ein Dach über dem Kopf zu haben. Obwohl Elise ähnlich vernünftig und pflichtbewusst ist wie ihre Mutter, wird sie von ihrer Freundin Louise immer wieder in unschickliche oder gar gefährliche Situationen hineingezogen. Nach und nach erweitert sich dadurch jedoch auch Elises Horizont und sie findet besser bezahlte Arbeiten, als jene in der Wäscherei. Unterstützt wird sie dabei sowohl von ihrer Familie als auch vom liebenswerten Andre, der für Elise zunächst Beschützer und starke Schulter zum Anlehnen und später ihr Verlobter ist. Doch im Lauf ihrer eigenen Veränderung, verändert sich auch Elises Verhältnis zu Andre. Als sie es ist, die mit ihrem Geld die Familie ernährt und als Tänzerin erfolgreich ist, scheint Andre in seiner männlichen Ehre gekränkt und leidet darunter selbst nicht mehr beitragen zu können. Immer öfter kommt es dadurch zu Missstimmungen zwischen dem Paar.
Louise Weber alias La Goulue ist eine historische Figur und erhält in Elise eine fiktionale Freundin. Die beiden Kinder arbeiten zusammen mit ihren Müttern in der Wäscherei. Doch im Gegensatz zu Elise ist Louise schon in jungen Jahren ziemlich egoistisch und verschlagen und überschreitet ständig Grenzen. Bei ihren Mitmenschen kommt die schamlose Louise allerdings gut an, macht sich als Tänzerin einen Namen und hat bald keinerlei Geldsorgen mehr.
Valerie hingegen wächst behütet auf. Zum Mißfallen ihrer religiös fanatischen Mutter interessiert sie sich sehr für das weltliche Geschehen und vor allem die Malerei. Obwohl der Vater sie weitgehend in ihrer Malerei unterstützt, hat Valerie auch vor ihm Geheimnisse. Es braucht ihre ganze List, um Malerei studieren zu dürfen und sich Freiräume zu erkämpfen. Als die Schere zwischen ihren eigenen Interessen und denen ihrer Familie immer größer wird, muss sie eine folgenschwere Entscheidung treffen.
Zwar kennen sich beide Protagonistinnen und haben gemeinsame Bekannte, mir fehlt jedoch in diesem ersten Teil noch ein größerer Zusammenhang, der die Schicksale beider Frauen miteinander verbindet. Vielleicht folgt dies im zweiten Band, wenn es u. a. im Moulin Rouge weitergeht und sich die vielen losen Enden vermutlich noch zusammenfügen.
Insgesamt lädt der Roman dazu ein ins Montmartre des 19. Jahrhunderts einzutauchen – mit allen Facetten – und schildert dabei auf ergreifende und tiefgängige Art die Schicksale zweier junger Frauen, die für ihre Träume einiges riskieren. In meinen Augen ein gelungener Mix aus Fakten und Fiktion - sehr lesenswert.