Tödliche Zugfahrt

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evaczyk Avatar

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Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt.

Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen von einer traumatischen Vergewaltigung während der Schwangerschaft, die Roz emotional lange lähmte.

Doch nicht allein, dass die Wehen vorzeitig einsetzen und Mutter und Baby um ihr Leben kämpfen müssen. Ausgerechnet in dem Moment, wo Roz sich so dringend gebraucht fühlt, entgleist der Nachtzug nach Fort William im Schneesturm. Roz bleiben nur hektische, besorgte Telefonate mit ihrer Tochter und deren Partnerin.

Und dann ist da natürlich noch der titelgebende Mord... zumindest aber ein verdächtiger Todesfall, als eine junge Influencerin tot in ihrem Abteil gefunden wird. Es bleibt nicht der einzige Todesfall und die Tatsache, dass in einer anderen Erzählperspektive eine Person namens "Killa" über ihre Mission nachdenkt, lässt dann noch den letzten Leser ahnen, dass es noch die eine oder andere Leiche geben wird, ehe die verschneiten Gleise freigeräumt werden.

Allerdings: Das Bemühen der Autorin, ein möglichst diverses Ensemble in ihrem Roman unterzubringen und Misogynie und Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Formen zu thematisieren, ging hier auf Kosten glaubwürdiger Charaktere. Die meisten Romanfiguren bleiben flach und schablonenhaft, selbst Roz bleibt merkwürdig blass. Dabei finde ich es ja eigentlich gut, dass die Autorin auf Diversität und verschiedene sexuelle Identitäten setzt. Doch wenn dabei das Gefühl aufkommt, dass hier eine Liste abgehakt werden soll? Mein Eindruck war, dass Benedict hier viel wollte, vielleicht zu viel - das ging dann auf Kosten von Stringenz und Spannung. Aber immerhin: Sapiosexuell war mir bisher kein Begriff. Wieder was gelernt.