Meine Mutter, die Frau ohne Unterleib

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Grünspan und Kupferrot, ein Dachboden abgeteilt durch Wäscheleinen über die alte Decken gehängt sind, schmale Streifen von Licht, ein Mädchnen ohne Borken, ein Koffer mit Spitzendeckchen und zwei Porzellantassen, kaltes Wasser aus dem Teekessel. Es scheint eine verzauberte Welt zu sein, von der Mila Lippke hier berichtet. Eine Welt in der ein kleines Mädchen Angst hat eine Porzellantasse mit kaltem Wasser zum Mund zu führen. Angst die Tasse zu zerbrechen und damit einen weiteren Traum der Mutter. Einer Mutter deren Herzschlag sie unter der alten Decke sprüren kann, wenn sie sich aneinander kuscheln um Dunkelheit und Kälte zu trotzen. Einer Mutter die Zauberworte verwendet wenn sie vorliest.

Die Künstlerin Lia hat den Durchbruch geschafft. Nach entbehrungsreichen Jahren der künstlerischen Entwicklung eröffnet sie heute ihre erste Ausstellung in einer namhaften Berliner Galerie. Ihre Freundin Tetra von Hannover, eine erfolgreiche Modeschöpferin bringt ihr das Kleid vorbei, das sie zur Eröffnung tragen soll. Es spannt ein wenig um den Bauch. Lia ist schwanger, scheut sich aber diesen Umstand ihrer Freundin zu eröffnen, die selber bereits eine Fehlgeburt erlitt. Sie selber denkt über eine Abtreibung nach, denn der Vater des Kindes Dominik ist ihr verheirateter Liebhaber. In der Galerie selber wird Lia bereits von der Presse erwartet. Die Fragen zu ihrer Kunst beantwortet sie professionell, aber mit zunehmender Besorgnis. Ihre Mutter, die sie mehrere Jahre lang weder gesehen noch gesprochen hat, wird auch zu der Eröffnung kommen. Lia fragt sich, was ihre Mutter, die sie selber über die Jahre nur "die Frau ohne Unterleib" genannt hat, wohl zu den überdimensionalen Geschlechtsteilen aus Fell sagen wird, die ihre Tochter kreiert hat?

Das Cover von Mila Lippkes "Morgen bist du noch da" führt offenkundig in die Irre. Die Leseprobe verheisst keinesfalls eine luftig, locker, bunte Unterhaltung die das Titelbild propagiert. Lippke erzählt in eindringlichen Bildern die Geschichte einer Frau, die ein dunkles Vermächtnis aus ihrer Kindheit bis in ihr helles, weitläufiges Künstleratelier nach Berlin geschleppt hat. Farbige Worte prägen die prallen Sätze. Aus jedem Satz scheint wiederum eine eigene Geschichte hervorzugehen. Die Inseln aus Puppenköpfen, alten Teppichen und Stoffen. Das Sammelsurium aus Gegenständen mit denen sich die Künstlerin umgibt um nicht durch Wände eingeengt oder durch Mauern eingesperrt zu werden. Was wird sich im Laufe des Romans enthüllen? Welche Vergangenheit quält und beflügelt Lia gleichermaßen? Was ist das für eine Mutter die gleichsam Zauberworte findet und doch furchteinflößend wirkt? Lia will mit ihrer feministischen Kunst eine neue Welt schaffen? Auf die Welt hinter dieser Geschichte darf man gespannt sein!