Farben und Vergangenheit

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Lio ist Künstlerin, arbeitet mit Stoffen und stickt. Ausserdem ist sie politisch engagiert, hat auch in ihrer Jugend viel demonstriert, in Künstlerkolonien gelebt, dabei teilweise gehungert. Gerade wird in einer renommierten Berliner Galerie ihr Werk ausgestellt. Zur Ausstellungseröffnung hat sie ihre Mutter aus Köln eingeladen, zu der sie kein gutes Verhältnis hat.

Gerade hat sie auch herausgefunden, dass sie schwanger ist von einem verheirateten Mann, mit dem eine gemeinsame Zukunft kaum denkbar ist.

Jetzt versucht sie ihre Vergangenheit zu finden, vielleicht um zu wissen, welchen Weg sie in der Zukunft einschlagen soll. Sie selbst hat aus ihrer Sicht keine glückliche Kindheit gehabt. Einen Vater gab es nicht und die Mutter hat sie gerade so durchgebracht, wirkte dabei sehr hart. Natürlich hat sie Angst, dass ihr Kind, wenn sie es denn bekommen sollte, genauso aufwächst wie sie, ohne ihre Wurzeln zu kennen. Logischerweise fragt sie ihre Mutter nach ihrem Vater. Am nächsten Tag erfährt sie, dass ihre Mutter einen Schlaganfall hatte und kaum sprechen kann.

Sie kümmert sich um die notwendigen Papiere, fährt deshalb nach Köln. Einmal in der Wohnung der Mutter versucht sie Antworten zu finden, die diese ihr jetzt nicht beantworten kann, auf die es vielleicht nie mehr eine Antwort geben wird. Und sie erfährt Erstaunliches. Alle Informationen sind aber nur Puzzleteile, die noch lange kein Ganzes ergeben.

Parallel zu dieser Geschichte erfährt der Leser einiges über ein Mädchen, später eine junge Frau. Anscheinend handelt es sich hierbei um die Mutter. Deren Kindheitserinnerungen sind auch nur Bruchstücke, weil sie aus der Sicht eines kleinen Mädchens geschildert werden, die den größeren Zusammenhang nicht begreifen kann. Wichtig bei allem sind immer die Farben. Die Vielfältigkeit der Farben und deren Bezeichnungen sind ein wichtiges Thema zwischen dem Mädchen und dessen Mutter und auch Lio erfährt von ihrer Mutter viel über Farben.

Am Anfang des Buches hatte ich den Eindruck, es handele wieder einmal von einer Künstlerin, die Probleme hat, sich selbst zu finden und alle ihre Probleme der Vergangenheit und den diese bestimmenden Menschen anzulasten. Aber bald stellte ich fest, dass dieses Buch weit darüber hinausgeht. Was Lio da ausgräbt ist Geschichte, nicht nur ihre, sondern ein Teil der Geschichte eines ganzen Volkes. Es ist erschreckend, wenn man glaubhaft erfährt wie weit die Erfahrungen einer Generation auch noch Auswirkungen auf die nächste und die übernächste haben können. Das ist hier zwar Fiktion, aber so könnten Tausende es erlebt und weitergegeben haben. Die Vergangenheit ist nicht vorbei, sondern sie lebt in uns fort. Das halte ich für die Botschaft dieses Buches und das hat die Autorin auf ganz eindrucksvolle Weise vermittelt.

 

 

meldsebjon