Auf die starken Sätze achten!

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Maya Rosa hat mit „Moscow Mule“ einen starken Debütroman vorgelegt. Auf rund 315 Seiten entfaltet sie eine Geschichte, die weniger durch ihren Inhalt als durch Atmosphäre überzeugt. Erzählt wird von zwei Freundinnen in ihren Zwanzigern, Karina und Tonya, die in Moskau leben, das Beste aus ihren Möglichkeiten machen und vage davon träumen, eines Tages nach Berlin zu gehen.

Gut herausgearbeitet ist dabei die immense wirtschaftliche Spreizung der Gesellschaft: Während die Kinder reicher Eltern in Kaviar schwelgen, muss Karina überlegen, wie sie die U-Bahn bezahlen soll. Ihr Leben wirkt oft planlos, eher getrieben als gelenkt, mit einer Vorstellung von Zukunft, die nie konkret genug wird, um wirklich als Plan zu gelten. Über ein Stipendium hoffen sie, nach Deutschland – idealerweise Berlin – zu gelangen, sind dafür sogar bereit, ihre Studienrichtung zu wechseln und fast alles diesem Ziel unterzuordnen. Es wirkt ein wenig wie bei Kindern, die sich etwas sehnlichst wünschen, es aber (noch) nicht rational planen können, sondern rein gefühlsgeleitet handeln.

Doch das Eigentliche an diesem Roman ist nicht die Story, sondern der atmosphärische Klang des Schreibstils. Stets schwingt eine Spur Verzweiflung über die eingeschränkten Lebensmöglichkeiten mit, weil niemand daran glaubt, dass sich ab morgen etwas zum Positiven verändern könnte – also wird jeder Augenblick gefeiert. Dementsprechend wird viel getrunken, es gibt sexuelle Abenteuer, die für die beiden oft eher enttäuschend verlaufen. Die Liebe spielt eine Rolle, vor allem Karina ist dabei aber sprunghaft, als wolle sie sich nicht festlegen, flexibel bleiben. Zugleich spürt man ihre große Sehnsucht nach einem festen Rahmen für ihr Leben. Der Grund dafür liegt wohl in ihrer distanzierten, kühlen Mutter und dem unbekannten Vater. Menschliche Nähe und Wärme erfährt sie vor allem bei ihrer Großmutter.

Da in diesem Buch nicht viel passiert, sondern vielmehr ein nicht unübliches junges Leben in Moskau beschrieben wird, muss man aufpassen, Sätze wie diesen nicht zu überlesen:
„Mein Stolz klebte noch an meinem Schuh wie ein Stück Papier, bis es endgültig an den Zacken der Rolltreppe abgekratzt wurde.“