Ein Tango, ein Geheimnis und die erste Ahnung von Magie

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
lulia Avatar

Von

Die ersten Seiten sind wie der Beginn eines alten Kinofilms bei dem das Bild noch flackert und die Musik aus einem anderen Jahrhundert zu stammen scheint. Der Eröffnungssatz „Ich wurde 1927 auf einer Tanzfläche in Buenos Aires gezeugt“ ist kein bloßer Satz sondern ein Versprechen: Hier wird nicht einfach erzählt sondern hier wird gelebt, getanzt und geträumt.
Im Zentrum steht das Mädchen Lita, das zwischen der exzentrischen Schönheit ihrer Mutter Fabiola und der Unberechenbarkeit des Lebens aufwächst. Fabiola ist keine klassische Mutterfigur: sie ist eine Frau, die Schuhe sammelt wie andere Erinnerungen, die Tango tanzt wie andere atmen und die Chaos anzieht wie ein Magnet. Die Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist von Anfang an ambivalent: liebevoll aber auch flüchtig. Man spürt, dass Lita früh lernen muss sich selbst zu halten während Fabiola sich vom Leben treiben lässt.
Als die beiden Buenos Aires verlassen müssen, Hals über Kopf wie es bei Fabiola üblich scheint, landen sie auf einer windgepeitschten Insel vor Neufundland. Und hier beginnt der Roman sich zu verwandeln: Das Seemannsheim in dem sie Unterschlupf finden, ist kein Ort der Sicherheit sondern ein Sammelbecken für schrullige, beschädigte aber liebenswerte Figuren. Die Insel selbst wirkt wie ein Zwischenreich: nicht ganz real, nicht ganz magisch,aber voller Möglichkeiten.
Besonders berührend ist Litas erste Begegnung mit Oona, der gehörlosen Tochter der Gastgeber. Ihre Kommunikation ist tastend, zart und doch intensiver als viele gesprochene Dialoge.
Hier zeigt Bjergfeldt ihre Stärke: Sie schreibt nicht nur über Menschen sondern über die Räume zwischen ihnen. Über das, was nicht gesagt wird und trotzdem wirkt.
Obwohl er noch nicht auftritt, ist Mr. Saito bereits spürbar. Wie ein wanderndes Versprechen und ein flimmerndes Licht am Horizont. Die Inselbewohner sprechen von ihm wie von einem Mythos und einem Boten aus einer anderen Welt. Und man ahnt: Wenn er kommt, wird sich alles verändern.
Die ersten Seiten von Mr. Saitos reisendes Kino sind wie ein poetischer Auftakt zu einem Film, den man nicht nur sieht sondern fühlt. Annette Bjergfeldt schreibt mit einer Mischung aus Melancholie und Übermut, aus Sinnlichkeit und Schalk. Wer sich auf diesen Anfang einlässt, betritt nicht einfach eine Geschichte sondern eine Welt, in der Tango, Wind und Wunder gleichberechtigt nebeneinander stehen.