Ein realistischer Blick

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Eigentlich hatte Maria geplant gemeinsam mit ihren Töchtern und einer befreundeten Familie ein Wochenende in den Bergen zu verbringen. Dort wollten alle eine Auszeit vom hektischen städtischen Leben nehmen und neue Kraft tanken. Doch wie so häufig kommt alles anders als geplant. Maria erreicht ein Anruf ihrer Mutter. Der Vater hatte einen Unfall und auf dem elterlichen Bauernhof wird dringend Marias Hilfe benötigt. Sie bricht das geplante Wochenende ab und fährt in die Heimat. Dort angekommen wird schnell klar, dass Maria sich in einem inneren Dilemma befindet. Sie ist gefangen zwischen ihren Kindheitserinnerungen und den vielen unausgesprochenen Themen, die zwischen den Familienmitgliedern stehen. Diese werden spätestens dann deutlich, als ihr Bruder Thomas aus dem Urlaub zurückkehrt und alte Verletzungen wieder offensichtlich werden.

Martina Bogdahn erzählt in „Mühlensommer“ die Geschichte einer Bauernfamilie aus der Perspektive der Tochter, die sich vom Landleben eigentlich abgewandt hat. Die Autorin springt dabei immer wieder zwischen der Vergangenheit und dem Hier und Jetzt hin und her. Auch wenn die Zeitenwechsel nicht gekennzeichnet sind, war für mich immer schnell klar, wo wir uns gerade befinden. Insgesamt nimmt die Vergangenheit einen deutlich größeren Raum ein, was aber aus meiner Sicht auch wichtig ist, um die Gegenwart zu verstehen.

Mir hat der Schreibstil der Autorin sehr gut gefallen, man konnte sich sehr gut in die Situation hineinversetzen und ich hab das Landleben total gefühlt. Allerdings darf man beim Lesen kein zu schwaches Gemüt haben. Martina Bogdahn schildert das Leben auf dem Bauernhof sehr realistisch und lässt dabei die damit auch verbundenen Grausamkeiten nicht außen vor. Wer also nur auf die Schilderung eines idyllischen Landlebens eingestellt ist, wird hier schockiert sein. Allerdings vermittelt die Autorin so ein sehr gutes Bild davon, wie hart und entbehrungsreich ein Leben in der Landwirtschaft auch ist. Trotzdem gibt es auch viele Szenen, die das idyllische Leben oder auch lustige Anekdoten zeigen. Insgesamt zeichnet die Autorin damit aus meiner Sicht ein sehr realistisches Bild, man muss sich einfach bewusst sein, dass es sich nicht um einen „Wohlfühlroman“ handelt.

Man hat an vielen Stellen den Eindruck, dass die Autorin viele Episoden aneinanderreiht, die nicht alle auserzählt werden. Normalerweise bin ich großer Fan von abgeschlossenen Handlungen und mag es nicht, wenn zu viele Fragen offen bleiben. Hier hat mich das Fragmentarische gar nicht wirklich gestört. Ich fand es gut, mir über verschiedene Ereignisse Gedanken zu machen, die häufig auch einen gesellschaftskritischen Charakter haben. Es entspricht auch dem Naturell der Familie, dass vieles ungesagt bleibt. Letztlich ist die Botschaft aber klar, nämlich dass Heimat etwas ist, dass man trotz aller Bemühungen, Verdrängungsversuchen und vielleicht auch Verletzungen, nicht einfach abschütteln kann. Heimat Urschreis, das bleibt und einen auch maßgeblich zu dem Menschen gemacht hat, der man letztlich geworden ist.

Da im Buch Marias Perspektive dominiert, erfahren wir über die anderen Figuren natürlich immer nur das, was Maria für relevant hält. So hat man nie ein ganz objektives (Gesamt)Bild der anderen Figuren. Für mich war aber auch das stimmig.

Martina Bogdahn hat mir mit ihrem Debüt „Mühlensommer“ einige angeregte Lesestunden beschert, indem sie das Landleben sehr realistisch, aber auch mit einem gesellschaftskritischen Ansatz dargestellt hat. Neben der schonungslosen Direktheit, kommt auch der Humor nicht zu kurz, sodass ich nicht nur nachdenklich, sondern auch gut unterhalten war. Wer einen „Wohlfühlroman“ sucht, der greift aber bitte lieber zu einem anderen Buch.