Wenn die Arme leer bleiben

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liselottchen1 Avatar

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Fehlgeburten sind häufiger, als man denkt. Die Autorin hat selbst ihr Kind in der 16. Schwangerschaftswoche verloren und das hat sie motiviert, dieses Buch zu schreiben. Es ist ein Sachbuch mit einer Wagenladung voll Informationen rund um dieses Tabu-Thema.
Die Bandbreite der Themen ist groß. Darf man sich als Mutter fühlen, auch wenn die Schwangerschaft kein lebendes Kind hervorgebracht hat? Weshalb erwartet die Gesellschaft immer noch, dass man nur eine gewisse Trauerzeit haben darf? Und schreibt auch noch vor, wie diese auszusehen hat? Dass man sich anstrengen muss, die Trauerzeit möglichst schnell hinter sich lassen zu können? Weshalb sind Ärztinnen und Ärzte teilweise schlecht darauf vorbereitet, die Mütter in dieser schlimmen Situation ausreichen zu informieren? Warum fühlen sich Mütter immer noch schuldig, wenn sie ein Kind verlieren?
Die Autorin nimmt kein Blatt vor den Mund und kritisiert das, noch immer männlich dominierte – Gesundheitssystem. Gendermedizin steckt noch in den Kinderschuhen und sie fragt sich beispielsweise, weshalb Massen von Geld in die Erektionsfähigkeit des Penis gesteckt wurden und werden und vergleichsweise wenig in Frauen- und Kindergesundheit.
Viel zu wenig wird auch auf die Psyche der Frauen eingegangen, die sich mit dem Tod ihres zu früh Geborenen oder gleich nach der Geburt verstorbenen Kindes auseinandersetzen müssen. Aber auch die Väter brauchen Hilfe, sie trauern anders und flüchten sich oft in aggressive Ablenkung, wie beispielsweise Extremsport oder Alkohol.
Furchtbar auch das Schicksal der Frauen anderer Länder, in El Salvador kommen Frauen nach Fehl- oder Stillen Geburten ins Gefängnis! Das war mir komplett neu, ich war fassungslos.
Die Autorin geht auch auf Abtreibungen ein, wenn eine Frau sich bewusst gegen ein Kind entscheidet, auf »Regenbogenkinder«, die nach ihren verstorbenen Geschwistern, den »Sternenkindern« geboren werden. Sie zeigt Wege auf, wie mit der Verabschiedung umgegangen werden kann: Beerdigung, das tote Kind im Arm halten, Fotos und betont doch immer wieder, dass jede Frau für sich entscheiden soll und muss, was ihr am meisten hilft.
Ich fand das Buch einfach nur großartig. Die Autorin hat recherchiert, informiert, Wege gezeigt, ohne erhobenen Zeigefinger Möglichkeiten aufgezeigt, wie man betroffenen Müttern und den Familien helfen kann. Reden, nicht totschweigen, die Trauer akzeptieren und für die Betroffenen einfach da sein. Nicht wegschauen! Da mir selbst - zum Glück - so ein schlimmes Erlebnis erspart geblieben ist, war mir dieses Kapitel besonders wichtig. Damit ich wirklich trösten kann und flache Floskeln wie »Du kannst ja wieder schwanger werden« oder »es war doch noch kein richtiges Kind« vermeide.
Ein wichtiges Buch, das man nicht in einem Rutsch durchlesen sollte (und vermutlich auch nicht kann). Bei den Fallbeispielen und oft gedankenlos grausamen Bemerkungen musste ich öfter tief durchatmen. Die Autorin wollte den Betroffenen eine Stimme geben, Sensibilität für dieses Tabu-Thema schaffen – das ist ihr großartig gelungen.