Berührendes Buch

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Christine Vescolis Roman Mutternichts ist ein intensives literarisches Debüt über eine Kindheit im Schatten emotionaler Vernachlässigung. Die Ich-Erzählerin erinnert sich an eine Mutter, die körperlich anwesend, aber seelisch abwesend war – eine Frau, die weder sprach noch liebte, sondern das Kind mit Kälte und Gleichgültigkeit zurückließ. Dieses „Nichts“ wird zur zentralen Metapher des Romans: das Mutternichts.

In kurzen, fragmentarischen Textpassagen, die oft nur wenige Zeilen umfassen, tastet sich die Erzählerin durch ihre Erinnerungen. Die Sprache ist karg, präzise und poetisch – jede Sentimentalität wird vermieden. Vescoli schafft es, das emotionale Vakuum literarisch erfahrbar zu machen. Der Schmerz ist dabei nicht laut, sondern still und eindringlich.

Der Roman verzichtet auf psychologische Deutungen oder klare Erzählstrukturen. Stattdessen begegnet man einer radikalen Subjektivität, die das Fehlen von Liebe und Zuwendung ungeschönt zeigt. Dabei geht es nicht nur um das Kindsein, sondern auch um die bleibenden Spuren im Erwachsenenleben: die Schwierigkeit, Beziehungen zu führen, Nähe zuzulassen, sich selbst zu verstehen.

Mutternichts ist kein leichter, aber ein eindrucksvoller Roman über familiäre Leere, Sprachlosigkeit und die Suche nach Identität. Vescoli gelingt ein sprachlich starkes Porträt einer Erfahrung, über die selten gesprochen wird. Ein schmaler Band, der lange nachwirkt.