Nirgends dazugehören

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Ein Zufall führte dazu, dass ich unmittelbar vor "Mutternichts" das Buch "Eine Frau" der Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux gelesen habe.

Auch da geht es der Ich-Erzählerin um eine Annäherung an die eigene gerade verstorbene Mutter. Das Buch von Annie Ernaux, an das ich - wegen des Nobelpreises - hohe Erwartungen hatte, fand ich erstaunlich belanglos.

Ganz anders das ähnlich schmale Bändchen mit dem Debüt der 1969 in Bozen geborenen Christine Vescoli, die sich auch auf die Reise macht, sich die Lebensgeschichte ihrer Mutter zu erarbeiten. Was war dieses "Mutternichts", dieses Geheimnis, was hat die Mutter verborgen?

Die Mutter habe ihr ihr Nichts hinterlassen, schreibt die Ich-Erzählerin: "existente Inexistenz".

Die Wortgewalt von Christine Vescoli macht es mir als Leser nicht leicht, in das Buch hineinzufinden, die Sprache der Autorin will gleichfalls erarbeitet werden.

Dann aber nimmt sie einen gefangen und lässt einen eintauchen in die Welt von Urgroßmutter, Großmutter und Mutter. Die Mutter, die weggegeben und mit acht Jahren "Dirn" auf einem anderen Bauernhof wurde. Somit gehörte sie nirgends dazu, weder zur Herkunftsfamilie, die ihr immer mehr entrückt noch zum neuen Umfeld.

Manche Schilderungen sind in ihrer Intensität kaum auszuhalten, dennoch ist "Mutternichts" ein unbedingt lesenswertes Buch - keine leichte Kost aber gewinnbringend im Sinne einer Horizonterweiterung.