Zart, hart, poetisch

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Mutternichts - eine Mutter droht nach ihrem Tod ins Nichts zu verschwinden. Die Erzählerin, ihre Tochter, hat es versäumt - und das ist so sehr Klischee wie jedem vertraut - mit ihr über ihr Leben vor dem Muttersein zu reden. Aus kindlichem Desinteresse, aus Scheu, Angst oder auch Respekt vor dem Schweigen. Denn die Mutter war immer eine große Schweigerin, eine, die sich schon zu Lebzeiten wegduckte, klein machte. Aber warum war das so? Sicher, die Familie war bitterarm. Wir hören Geschichten über Bauernhöfe in Südtirol, die gerade so das Nötige für die Bauern abwarfen. Über Familien voller Kinder, sich krank schuftender Frauen, die nahezu immer schwanger gewesen sein müssen, über Erben, die immer nur an den ältesten Sohn fielen. Die jüngeren mussten sich irgendwo sonst verdingen oder bei der Verwandschaft unterkriechen, abhängig von deren Wohlwollen. Für Frauen blieb nur die Option, sich gut zu verheiraten.

Die Urgroßmutter der Erzählerin musste bereits ihre Kinder fortgeben, nachdem ihr Mann im Bach ertrank - Unfall oder Freitod? Und auch die Großeltern gaben die Mutter mit vier Jahren zu Verwandten, mit acht Jahren wurde sie zur "Dirn", zum Mädchen für alles auf einem anderen Hof. Es müssen Tage voller emotionaler Kälte, Hunger und Arbeit gewesen sein. Erschwert noch durch die Tatsache, dass die Geschwister daheimbleiben durften. Warum musste sie gehen, warum haben die Eltern sie nicht haben wollen? Die Mutter sprach nicht darüber, sprach überhaupt nicht viel. Die Tochter hat sie nie gedrängt. Und nun ist sie tot, so unspektakulär gegangen wie sie gelebt hat.

Die Tante gibt ein wenig Auskunft, ein Foto verleiht den vielen Familienmitgliedern ein Gesicht, ein Besuch beim alten Hof illustriert ein wenig ihr Leben. Trotzdem bleibt sie der Tochter oft ein Mutternichts, das ihr doch so vertraut ist.